Der Digitale Produktpass (engl. Digital Product Passport, Abk. DPP) ist ein innovatives Konzept, das ausgelöst durch den europäischen Green Deal und den Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft in den letzten Jahren an Bedeutung stark zunahm. Der DPP zielt darauf ab, umfassende Informationen über Produkte während ihres gesamten Lebenszyklus bereitzustellen. Ausgelöst durch Ressourcenknappheiten (z. B. seltene Erden, Lithium), erstarkendem Protektionismus und dem Ukraine-Konflikt ist eine Transformation der Wirtschaft vom linearen Modell hin zu einer Circular Economy notwendig. Hierbei ist eine Möglichkeit der Transformation Geschäftsmodelle zu verändern, sodass gewährleistet ist, dass Ressourcen aus Alt-Produkten wiederverwendet werden und in Europa verfügbar bleiben. Außerdem ermöglichen Lebenszyklusdaten in zukünftigen DPP, dass Unternehmen, Regierungen und Verbraucher ein besseres Verständnis für die verwendeten Materialien und deren Umweltauswirkungen haben.
Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, den Übergang zu einer klimaneutralen, nachhaltigen Wirtschaft zu beschleunigen und beschreibt diesen parallelen Prozess als die grüne und digitale „Twin-Transformation“. In den letzten Jahren wurden mehrere gesetzgeberische Initiativen ins Leben gerufen, die den DPP unterstützen und dessen Implementierung vorantreiben. Dazu gehören beispielsweise innerhalb der EU die Verordnung über ökologisches Design für nachhaltige Produkte, die sogenannte Ökodesignverordnung (engl. Ecodesign for Sustainable Product Regulation, Abk. ESPR) oder die Batterie Verordnung (EU Battery Regulation), die einen digitalen Batteriepass einführt. Diese Initiativen zielen darauf ab, die Umweltbelastungen von Produkten zu reduzieren und den Aufbau einer Kreislaufwirtschaft zu fördern. Neben den dadurch entstehenden Vorschriften und Anforderungen birgt der DPP jedoch auch nennenswerte Möglichkeiten für Unternehmen aller Größen.
DPP werden als chancenreiche Lösung angesehen, um die Produktinformation über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg verfügbar zu machen und die Ressourcennutzung durch verbesserte Informationsgrundlagen für z. B. Reuse-, Remanufacturing- oder Recyclingprozesse zu optimieren. Sie können zu einer verbesserten Energie- und Materialeffizienz beitragen und neue Geschäftsmodelle fördern, die auf digitalem Datenaustausch basieren. Die durch den DPP ermöglichte Nachverfolgbarkeit eröffnet Verbrauchern und Industrieakteuren fundierte Entscheidungen, die auf den ökologischen Auswirkungen der Produkte basieren.
Ein Digitaler Produktpass (DPP) ist eine strukturierte Sammlung produktbezogener Daten, die einen definierten Umfang und vereinbarte Datenmanagement- sowie Zugriffsrechte umfasst. Diese Informationen werden über einen einzigartigen Identifikator bereitgestellt und sind elektronisch über ein Datenträgersystem (z. B. QR-Code) zugänglich. Der DPP soll Informationen zu Nachhaltigkeit, Kreislauffähigkeit sowie Möglichkeiten zur Wiederverwendung, Aufarbeitung und Recycling enthalten.
Die Ziele des DPP sind vielfältig:
Die Einführung des DPP wird von verschiedenen legislatorischen Maßnahmen unterstützt. Die neue Ökodesignverordnung (engl. Ecodesign for Sustainable Products Regulation, Abk. ESPR), die im Juli 2024 in Kraft getreten ist, zielt darauf ab, nachhaltige Produkte zur Norm zu machen und den Übergang zu einer ressourcenschonenden Wirtschaft zu beschleunigen. Der DPP stellt ein zentrales Element dieser Verordnung dar, indem er die Rückverfolgbarkeit von Produkten und ihren Komponenten verbessert. Die ehemalige Ökodesignverordnung war begrenzt auf stromverbrauchende Produkte, die im Jahr 2024 erlassene ESPR umfasst im Gegensatz dazu alle physischen Produkte. Ausnahmen bestehen lediglich für bestimmte Produktgruppen im Bereich Arzneimittel, Pflanzen und Lebensmittel.
Ein weiterer wichtiger legislatorischer Aspekt ist die Verordnung über Batterien (EU Battery Regulation), die die Einführung eines digitalen Batteriepasses vorsieht und somit für die erste Produktgruppe die Anforderungen an einen DPP ausformuliert und die Einführung ab 2027 verpflichtend macht. Diese Initiative fördert die Transparenz und Nachverfolgbarkeit von Batterien, was für die Entwicklung einer nachhaltigen Batteriewirtschaft von entscheidender Bedeutung ist.
Im Arbeitsplan der ESPR wird gerade von der EU-Kommission festgelegt für welche Produktgruppen der DPP ab wann verpflichtend wird. Dieser Arbeitsplan soll in der ersten Hälfte des Jahres 2025 veröffentlicht werden. Daraus abgeleitet werden in den nächsten Jahren für die entsprechenden Produktgruppen delegierte Rechtsakte (engl. Delegated Acts) in Kooperation mit der Industrie entwickelt, welche die bereit zu stellenden Daten, Verfügbarkeitszeitraum und Zugriffsrechte definieren.
In einer Studie zu Produktprioritäten der EU-Kommission wurden Produktgruppen evaluiert und Empfehlungen für die wichtigsten Produktgruppen und deren Implementierung innerhalb der ESPR vorgeschlagen. [2] Die Analyse basiert auf zehn Umweltkategorien, wie Auswirkungen auf Wasser, Luft und Boden, Abfallerzeugung und Energieverbrauch. Hierbei sind elf Endprodukte und sieben Zwischenprodukte hervorgehoben worden:
Der Batteriepass ist ab Februar 2027 verpflichtend für LMT-Batterien (Light Means of Transport, wie E-Bikes, E-Roller etc.), für Batterien in Elektrofahrzeugen (Electric Vehicle: EV-Batterien) und für Industriebatterien mit einer Kapazität höher als 2 kWh, die auf den europäischen Markt gebracht werden. Für jede Batterie ist ein einzelner DPP mit einem Datenträger zur Verfügung zu stellen, welcher über den Lebenszyklus hinweg gepflegt wird.
Der Batteriepass enthält laut Batterie Verordnung mehr als 90 einzelne Datenpunkte. Wichtige Inhalte des Batteriepasses umfassen Informationen zu Zertifikaten, zur Lieferkette, zum CO2-Fußabdruck, zur Materialzusammensetzung, zur Kreislauffähigkeit sowie zur Leistung und Haltbarkeit der Batterien. Hier ist eine Übersicht der verpflichtenden Datenpunkte, die im Batteriepass enthalten sein müssen, sowie die vorgeschlagenen freiwilligen Informationen:
Die klare Abgrenzung zwischen verpflichtenden und freiwilligen Informationen ist entscheidend, um den Nutzen des Batteriepasses zu maximieren und gleichzeitig die Anforderungen an die Unternehmen zu begrenzen.
Ein beispielhafter Use Case des Batteriepass umfasst die Steigerung des Volumens der Wiederverwendung von Elektrofahrzeugbatterien in Energiespeicheranwendungen. Nach acht bis zehn Jahren im Einsatz behalten Lithium-Ionen-Batterien oft über zwei Drittel ihrer nutzbaren Energie, werden allerdings nicht mehr in Elektrofahrzeugen eingesetzt. Sie können allerdings in Sekundäranwendungen wie Energiespeichern weitere fünf bis acht Jahre genutzt werden. Diese Batterien sind entscheidend für die Stabilisierung von Stromnetzen, insbesondere mit dem Anstieg erneuerbarer Energien.
Der Prozess umfasst mehrere Schritte: Zuerst erfolgt eine Bewertung des Batteriezustands, gefolgt von der teilweisen Demontage und der Neuanordnung für spezifische Anwendungen. Die Nutzung eines Digitalen Produktpasses (DPP) verbessert die Effizienz dieses Prozesses erheblich, indem relevante Daten bereitgestellt werden, die die Beurteilung des Batteriezustands erleichtern und technische Tests reduzieren. Wesentliche Vorteile des DPP sind in diesem Use Case die Kostensenkungen, eine erhöhte Sicherheit und ein besseres Risiko-Management.
Der DPP bietet vielfältige Möglichkeiten sowohl für Unternehmen als auch für die Gesellschaft als Ganzes. Durch den DPP wird Transparenz und Nachverfolgbarkeit erhöht, indem die Offenlegung von Herkunft, Zusammensetzung und Umweltwirkungen von Produkten ermöglicht. Dies stärkt das Vertrauen der Verbraucher und fördert fundierte Kaufentscheidungen. Zudem unterstützt der DPP die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft, indem mehr Informationen für unterschiedliche Akteure in der Lieferkette bereitstehen. Die potenzielle Notwendigkeit der Bereitstellung einer Reparaturanleitung für Nutzer:innen oder Reparaturwerkstätten incentiviert Unternehmen einfache Reparaturmöglichkeiten für ihre Produkte zu entwickeln und steigert somit die Anzahl an Produkten, die repariert werden können. Daten über verwendete Materialien und Recyclinghinweise ermöglichen beispielsweise Entsorgern die Rückführung von Produkten bzw. einzelnen Werkstoffen in passende Recyclingkreisläufe, wodurch die Ressourcennutzung und die Kreislaufführung gesteigert werden.
Der Zugang zu neuen Märkten wird durch die Bereitstellung detaillierter Produktinformationen erleichtert, was besonders in Sektoren von Vorteil ist, die auf nachhaltige Produkte setzen. Darüber hinaus dient der DPP als Grundlage für innovative, zirkuläre Geschäftsmodelle, wie etwa das Konzept „Produkt-as-a-Service“ oder Rücknahmeprogramme. Er ermöglicht Echtzeitdaten-Erfassung über den Lebenszyklus von Produkten, was zu optimierten Entscheidungen in den Bereichen Produktion, Design und Vertrieb führt. Schließlich unterstützt er Unternehmen bei der Einhaltung von Umwelt- und Nachhaltigkeitsvorschriften und trägt zur Erfüllung gesetzlicher Anforderungen bei.
Trotz dieser Chancen sind auch einige Herausforderungen bei der Implementierung des DPP zu beachten. Die technologische Komplexität des DPP stellt eine wesentliche Hürde dar, da die Implementierung komplexer digitaler Infrastrukturen erforderlich ist. Hierbei müssen auch die Lösungen unterschiedlicher Anbieter zusammenpassen. Dafür müssen technische Standards und Protokolle entwickelt und harmonisiert werden. Die Verwaltung sensibler Produktdaten ist ebenfalls eine Herausforderung, da Unternehmen den Schutz vertraulicher Informationen gewährleisten müssen, ohne die Transparenz zu gefährden.
Weitere Hürden sind die Kosten und Ressourcen, die für die Entwicklung und Implementierung eines DPP erforderlich sind. Unterschiedliche Branchen und Produktkategorien haben zudem unterschiedliche Anforderungen an den DPP, was die Umsetzung einer einheitlichen Lösung erschweren könnte. Widerstand gegen Veränderungen ist eine weitere Hürde, da Unternehmen möglicherweise zögerlich sind, bestehende Systeme und Prozesse anzupassen, was eine grundlegende Neugestaltung der Geschäftsmodelle erfordern könnte. Schließlich gibt es regulatorische Unsicherheiten, da die Entwicklung des DPP eng mit fortlaufenden rechtlichen Entwicklungen verknüpft ist und Unklarheiten über zukünftige Vorschriften Unternehmen davon abhalten könnten, in die Implementierung zu investieren.
Die Einführung des DPP wird erhebliche Auswirkungen auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) haben, die das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden. KMU haben heute bereits die Möglichkeit sich auf die Entwicklungen vorzubereiten und sie für sich nutzbar zu machen. Folgender Überblick soll den Einstieg hierfür erleichtern:
Chancen für KMU
Herausforderungen für KMU
Insgesamt bietet der Digitale Produktpass sowohl Chancen als auch Herausforderungen für kleine und mittlere Unternehmen. Während er als Katalysator für Innovation und nachhaltige Praktiken fungieren kann, müssen KMU die erforderlichen Ressourcen bereitstellen und sich den technologischen Herausforderungen stellen, um von den Vorteilen des DPP zu profitieren. Eine enge Zusammenarbeit zwischen KMU, Regierungen und anderen Stakeholdern wird entscheidend sein, um die erfolgreiche Implementierung des DPP zu gewährleisten und um sicherzustellen, dass KMU nicht im Wettbewerb zurückfallen. Das Mittelstand-Digital Zentrum Augsburg und seine Expert:innen werden zu diesem relevanten und dynamischen Thema weiterhin aktuelle Informationen und Weiterbildungsinhalte zur Verfügung stellen. Kommen Sie gern mit ihren Nachfragen auf uns zu!
[1] Deutsches Institut für Normung e.V. (DIN). (2025). DIN DKE SPEC 99100: Anforderungen an Datenattribute des Batteriepasses. https://dx.doi.org/10.31030/3582101
[2] European Commission, Joint Research Centre, Faraca, G., Ranea Palma, A., Spiliotopoulos, C., Rodríguez-Manotas, J., Sanye Mengual, E., Amadei, A.M., Maury, T., Pasqualino, R., Wierzgala, P., Pérez-Camacho, M.N., Alfieri, F., Bernad Beltran, D., Lag Brotons, A., Delre, A., Perez Arribas, Z., Arcipowska, A., La Placa, M.G., Ardente, F., Mathieux, F. and Wolf, O., Ecodesign for Sustainable Products Regulation: Study on new product priorities, Publications Office of the European Union, Luxembourg, 2024, https://data.europa.eu/doi/10.2760/7400680, JRC138903.
In einer globalisierten Wirtschaft, in der Lieferketten zunehmend komplexer werden, ist die Supply Chain Transparenz (SCT) zu einem entscheidenden Faktor für den Erfolg von Unternehmen geworden. SCT bezeichnet die Offenlegung und den Austausch von Informationen über Produkte, deren Herkunft und Historie entlang der gesamten Lieferkette. Genau wie das Management von Lieferketten selbst ist auch die SCT eine organisationsübergreifende Aufgabe. Sie setzt sich zusammen aus Sichtbarkeit, also einem klaren Verständnis der einzelnen Komponenten in der Lieferkette über die direkten Zulieferer hinweg sowie der Nachverfolgbarkeit, also der Fähigkeit einzelne Materialien, Komponenten und Produkte über die Kette hinweg zu identifizieren und zu lokalisieren. Die Vorteile von SCT sind vielfältig und ihre Relevanz nimmt stetig zu.
Ein zentrales Anliegen im Kontext von SCT ist die Reduzierung der Risiken, die von internen und externen Disruptionen verursacht werden. Transparenz ermöglicht es Unternehmen, proaktive Maßnahmen zu planen, anstatt nur reaktiv zu handeln. So können beispielweise überflüssige Intermediäre oder Ursprünge wiederholter Engpässe identifiziert und die Wertschöpfungskette entsprechend neu justiert werden. Eine erhöhte Transparenz und Reaktionsfähigkeit bei allen Partnern reduziert so z.B. auch überproportionale Schwankungen der Bestellmengen in der Lieferkette bei kleinsten Änderungen in der Nachfrage des Endverbrauchers, den sogenannten Bullwhip-Effekt, der sich besonders auf KMU auswirken kann, die oft am Anfang oder in der Mitte der Lieferkette großer Produzenten stehen. SCT und Datenaustausch unterstützen auch maßgeblich Lernprozesse innerhalb und zwischen Unternehmen.
Des Weiteren führt SCT zu einer höheren Effizienz, da Unternehmen ein besseres Verständnis für ihre eigenen Wertschöpfungsprozesse gewährt wird. Dies führt zu einer Verbesserung der operativen Leistung, indem Prozesse schlanker und wandelbarer gestaltet werden können. So erlaubt SCT beispielsweise geringere Bestände, gesteigerte Kontrolle über Ausgaben und effizientere Logistik-Koordination. Ein Beispiel das in Unternehmen verschiedener Branchen relevant ist, sind Produkt-Rückrufe. Rückverfolgbarkeit ermöglicht eine schnellere Identifikation des Problemursprungs und erlaubt eine spezifischere Eingrenzung der betroffenen Produkte. Mit einem wachsenden Markt zunehmend fortschrittlicher Imitate ermöglicht SCT auch eine Validierung von Reklamationen.
Darüber hinaus trägt SCT dazu bei, die ständig steigenden Anforderungen an die Verfügbarkeit von Informationen und die Rückverfolgbarkeit von Produkten zu erfüllen. Einerseits wird dies durch zunehmend striktere Regulatorik ausgelöst, sowohl auf nationaler (z. B. Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz), als auch auf internationaler Ebene (z. B. Corporate Sustainability Reporting Directive, European Sustainable Products Regulation, etc.). Andererseits steigt die generelle Erwartungshaltung von Konsumenten bezüglich der Nachhaltigkeit von Produkten. In einer Zeit, in der das öffentliche Bewusstsein für soziale wie auch Umweltfragen zunimmt, wachsen die Anforderungen an Unternehmen ihre Lieferketten zu überwachen, um Missstände zu identifizieren.
Die genannten Punkte zeigen, das SCT zu einem relevanten Wettbewerbsvorteil wird und die Implementierung verschiedener Optimierungsansätze befähigt. Die Digitalisierung hat einen maßgeblichen Einfluss auf SCT. Digitale Technologien wie Radio Frequency Identification (RFID), das Internet of Things (IoT) und zunehmend performantere Algorithmen ermöglichen und unterstützen die effektive und effiziente Datensammlung und –auswertung. Allgemein können die verschiedenen Technologien eingesetzt werden, um damit Prozesse zu überwachen und die automatisierte Verarbeitung von Daten und Informationen zu ermöglichen. Des Weiteren schaffen sie durch die Entwicklung und Optimierung von Möglichkeiten zum Austausch und der gemeinsamen Nutzung von Daten die entsprechenden Voraussetzungen zur Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und entlang der gesamten Lieferkette.
Trotz der oben genannten Vorteile und technologischen Möglichkeiten gibt es zahlreiche Barrieren, die Unternehmen daran hindern, SCT als Ziel zu verfolgen bzw. deren Ausbau voranzutreiben.
Eine der größten Herausforderungen ist die Komplexität der Lieferketten selbst. Viele Unternehmen unterschätzen den Aufwand, der erforderlich ist, um Sichtbarkeit über direkte Beziehungen hinaus zu schaffen. Oft ist die Sichtbarkeit der Wertschöpfungsstufen zu Beginn der Kette am geringsten oder die beteiligten Parteien sind überhaupt nicht zu identifizieren.
Ein weiteres Hindernis ist die Angst vor dem Verlust geistigen Eigentums. Unternehmen sind besorgt, dass sie durch den Austausch von Informationen in ihrer Lieferkette Wettbewerbsvorteile verlieren könnten. Verbunden hiermit sind Unklarheiten über die Erwartungshaltung der Partner und die Verwendung von Daten. Diese Sorgen aufgrund mangelnden Vertrauens und fehlender Kontrollmechanismen verhindern die Herausgabe von Daten.
Darüber hinaus stellen die mangelnde Interoperabilität und das Fehlen geeigneter Systeme ein wesentliches Hindernis für den Datenaustausch über Unternehmensgrenzen hinweg dar. Bestehende Systeme sind häufig proprietär und nicht darauf ausgelegt, den Anforderungen einer internen und externen Zusammenarbeit mit mehreren Parteien gerecht zu werden, was die Einführung von SCT zusätzlich erschwert. Um SCT zu erreichen, ist ein aktiver und einfacher Austausch von Daten zwischen den Unternehmen notwendig.
SCT erfordert standardisierte Methoden und Praktiken, die alle Akteure innerhalb des Netzwerks, aber auch der einzelnen Unternehmen beachtet und einbezieht. Eine Standardisierung des Datenaustausches und des Umgangs mit den Daten wird auch organisationale Änderungen mit sich bringen. So ist eine angemessene „Data Governance“, also Regelungen für den Zugang und die Verantwortung über die Erhebung, Bewertung und Änderung von Daten notwendig. Diese Standards dürfen jedoch nicht nur für ein Liefernetzwerk getroffen werden, sondern müssen sektorweit bzw. sogar sektorübergreifend wirksam sein. Die Standardisierung bezieht sich auch auf die Daten selbst, um ihre Zuverlässigkeit und Genauigkeit sicherzustellen.
Erfolgreiche Standardisierung kann nur unter Einbezug und vor allem Austausch und Kollaboration aller am Datenaustausch Beteiligten möglich gemacht werden. Um diese Kollaboration auch effizient umzusetzen, müssen unternehmerische Strategien, Methoden der Datenerhebung und digitale Technologien für ihren Austausch abgestimmt werden.
Um SCT im großen Stil zu ermöglichen, müssen Systeme bestimmte Anforderungen erfüllen. Zunächst müssen sie eine Verbindung zu allen Ebenen der Lieferkette herstellen und den aktiven Austausch von Informationen fördern. Ein solches System soll auch die Integration von Informationen unter den Mitgliedern der Lieferkette fördern, um Wissensasymmetrien zu eliminieren und sicherzustellen, dass alle Beteiligten über die gleichen Informationen verfügen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Gewährleistung der Datensicherheit und Datensouveränität. Unternehmen müssen die Gewissheit haben, die Kontrolle über ihre Daten zu behalten, um Bedenken hinsichtlich Missbrauchs und Verlustes von geistigem Eigentum zu adressieren. Ein transparentes System muss klare Richtlinien für den Datenaustausch und die Verwendung von Informationen enthalten sowie Nachverfolgbarkeit der Nutzung sicherstellen, um das Vertrauen zwischen den Partnern zu stärken und Gleichheit zu sichern. Nur durch diese Absicherungen kann das für Kollaboration notwendige Vertrauen aufgebaut werden.
Die koordinierende Instanz eines solchen Systems muss standardisierte Datenformate und Protokolle definieren, um sicherzustellen, dass Informationen effizient und effektiv ausgetauscht werden können.
Die systemischen Lösungsansätze, die entsprechend dieser Anforderungen in den letzten Jahren entstanden sind, gestalten sich häufig als web-basierte Plattformen für einen Supply Chain Datenaustausch. Über sie konnten neue Erfolge im Datenaustausch und unternehmensübergreifender Kollaboration für SCT erreicht werden. Heute sind diese Plattformen zumeist noch im Besitz eines Akteurs, fokussieren sich auf das Netzwerk eines singulären Unternehmens oder im besten Fall auf einzelne Branchen. Der Betrieb einer solchen Plattform erfordert enorme Kompetenzen und Ressourcen von der Infrastruktur über Vernetzungs- und Speichermechanismen, weswegen große Konzerne aus der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) die entsprechenden Ressourcen oft als cloud-basierten Service anbieten. Die Nutzung dieser Plattformen für einen SCT-Datenaustausch geht in heute gängigen Modellen allerdings mit einem Kontrollverlust über diese Daten an den Betreiber der Plattform einher, da sie gemeinhin zentral auf dessen Servern zwischengespeichert werden. Darüber hinaus bieten sie so eine ressourcenreiche zentrale Angriffsfläche für Cyberattacken.
Forderungen nach einem dezentralen Ersatz für diese Infrastruktur haben daher neue Konzepte und Ansätze wie Blockchain für SCT und föderierte Datenökosysteme und Datenräume hervorgebracht. Sie sollen für mehr Transparenz über die Datenfreigabe und -nutzung sorgen, das Machtgefälle ausgleichen und vor allem die sogenannte zentrale „Datenkrake“ durch die Schaffung von Souveränität überbrücken.
Ökosysteme jeglicher Form sind im Kern eine Zusammenkunft verschiedener Akteure, welche kollektiv einer Herausforderung begegnen. Die kollektive Herausforderung, die Datenökosystemen zugrunde liegt, ist das Generieren von Mehrwert aus Daten und Informationen, z. B. für den Aufbau transparenter Lieferketten.
Die beteiligten Akteure nutzen Daten und verwandte Ressourcen gemeinsam, um Werte zu schaffen, die sie allein nicht erreichen könnten. Diese Zusammenarbeit ist entscheidend, da der Austausch von Daten die zentrale Motivation für die Bildung eines Datenökosystems darstellt.
Wesentliche Rollen innerhalb eines Datenökosystems sind Datenkonsumenten, Datenanbieter und Intermediäre. Datenkonsumenten konsumieren angebotene Daten und können dabei auf die Unterstützung von Intermediären (z. B. Analytics-Dienstleister) angewiesen sein, um die bereitgestellten Daten aufzubereiten oder zu transformieren. Akteure können in unterschiedlichen Szenarien verschiedene Rollen einnehmen.
Nach dieser Logik entwickeln sich Datenökosysteme um eine technische Infrastruktur, die entweder zentralisiert über eine Plattform oder dezentral durch einen sogenannten „Datenraum“ gestaltet werden kann. Um den generierten Mehrwert zu maximieren, die Hürden beim Datenteilen zu überwinden und Dezentralität zu fördern, hat das Konzept des Datenraums in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Bei dieser Variante wird vermehrt von föderierten Datenökosystemen gesprochen. In der wissenschaftlichen Diskussion ist die Verwendung der Begriffe „Datenraum“ und „Datenökosystem“ nicht einheitlich. Es wird jedoch vermehrt wie folgt beschrieben: Datenökosysteme bilden sich um einen Datenraum herum.
Datenräume bieten eine dezentrale Infrastruktur für den vertrauensvollen Austausch von Daten und basieren auf gemeinsamen Standards und Protokollen, die den Datenaustausch und die Interoperabilität zwischen verschiedenen Datenräumen und Datenökosystemen unterstützen. Die technische Architektur eines Datenraums umfasst mehrere Bausteine, die auf die spezifischen Anforderungen der Nutzenden zugeschnitten werden können, ohne dabei die Kernfunktionen der Datenintegration und Datensouveränität zu verlieren:
Entscheidender Aspekt der Datenräume ist, dass sie eine transparente und kontrollierbare Umgebung schaffen, in der Unternehmen entlang der gesamten Lieferkette Daten austauschen können. Das hilft, Bedenken hinsichtlich der Offenlegung kritischer Daten zu überwinden und fördert eine aktive Teilnahme der Akteure.
Der Transformationsprozess, der im Rahmen der Teilnahme- und Anschlussfähigkeit an ein föderiertes Datenökosystem und einen Datenraum durchlaufen wird, ist nicht zu unterschätzen. Dennoch finden sich einige Vorteile und Synergien mit dem ganzheitlichen Digitalisierungsprozess von Unternehmen:
Die hier erwähnten Ansätze spielen sowohl im Kontext der Teilnahme an Datenökosystemen als auch in der Planung und dem Aufbau einer Digital- bzw. Datenstrategie eine Rolle. Die Kompetenzen, wie beispielsweise die Identifikation von Nutzenpotenzialen und deren Bewertung, wie auch die Nutzenpotenziale selbst können sowohl für das eine als auch für das andere relevant sein. Dasselbe gilt für die Zukunftsanforderungen an die Architektur eines Unternehmens. Weitere Erleichterung soll durch Software-Komponenten gegeben werden, welche „off the shelf“ genutzt werden können. Sie sollen vor allem kleinen und mittleren Unternehmen einen niedrigschwelligen Zutritt ermöglichen.
Die wirtschaftlich wichtigsten Rohstoffe mit hohem Risiko bezüglich Versorgungssicherheit werden als kritische Rohstoffe bezeichnet.[1] Kritische Rohstoffe bilden die Grundlage zahlreicher industrieller Lieferketten und sind unverzichtbar für moderne Technologien wie Elektrofahrzeuge, Windkraftanlagen und Halbleiter. Die Nachfrage nach diesen Rohstoffen steigt rapide an: So wird beispielsweise erwartet, dass der Bedarf an Lithiumbatterien bis 2050 um das 21-fache zunimmt. Gleichzeitig ist Europa in hohem Maße von Importen aus Drittstaaten abhängig, was zu erheblichen Risiken in den Lieferketten führt. China dominiert derzeit die Verarbeitung und Raffination vieler dieser Rohstoffe, darunter 100 % der Seltenen Erden, die in Dauermagneten verwendet werden.[2]
Diese Abhängigkeit, kombiniert mit einer steigenden globalen Nachfrage und geopolitischen Unsicherheiten, stellt nicht nur große Konzerne, sondern auch KMU vor immense Herausforderungen. KMU, die oft auf flexible und spezialisierte Produktionsprozesse angewiesen sind, stehen vor der Aufgabe, ihre Beschaffung und Lieferketten in einem zunehmend unsicheren Umfeld anzupassen. Gleichzeitig fehlt ihnen aufgrund begrenzter Ressourcen oft die Kapazität, strategische Maßnahmen wie die Diversifikation von Lieferquellen oder die Einführung von Recyclingprozessen eigenständig umzusetzen.[3] Um diesen Herausforderungen zu begegnen und die europäische Industrie insgesamt widerstandsfähiger zu machen, verabschiedete die EU im März 2024 den Critical Raw Materials Act.[4] Dieses Gesetz ist ein zentraler Bestandteil einer umfassenden Strategie zur Diversifizierung der Rohstoffversorgung, zur Förderung nachhaltiger Lieferketten und zur Erhöhung der Selbstversorgung.
Der CRMA schafft neue rechtliche Rahmenbedingungen, die darauf abzielen, die europäische Industrie widerstandsfähiger gegenüber Lieferengpässen bei kritischen Rohstoffen zu machen. Diese Maßnahmen umfassen die gesamte Wertschöpfungskette, von der Rohstoffgewinnung bis zum Recycling, und dienen sowohl der Stärkung der Versorgungssicherheit als auch der Förderung nachhaltiger Praktiken. Bis 2030 sollen folgende Zielvorgaben für strategisch wichtige Rohstoffe erreicht werden – also für jene kritischen Rohstoffe, die Prognosen zufolge besonders von globalen Marktungleichgewichten betroffen sein werden:
Die ambitionierten Zielvorgaben des CRMA haben weitreichende Auswirkungen auf verschiedene Akteure entlang der Wertschöpfungskette. Insbesondere die Bergbau-, Verarbeitungs- und Recyclingindustrie stehen vor der Herausforderung, die vorgegebenen Quoten für Eigenproduktion, Verarbeitung und Recycling zu erreichen, was erhebliche Investitionen und technologische Innovationen erfordert. Auch die verarbeitende Industrie muss ihre Lieferkettenstrategien anpassen, um den neuen Standards zu entsprechen, was mit potenziellen Kostensteigerungen und Anpassungsaufwand verbunden ist. Trotz dieser Herausforderungen schafft der CRMA einen klaren Rahmen, der den Weg für eine resiliente und nachhaltige Rohstoffversorgung ebnet.[5]
Die Umsetzung des CRMA bringt für KMU sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich. Einerseits sehen sich viele kleinere Unternehmen mit steigenden Anforderungen an die Anpassung ihrer Lieferketten, höheren Kosten und dem Bedarf an technologischen Innovationen konfrontiert. Andererseits bietet der CRMA klare Rahmenbedingungen, die KMU dabei unterstützen, Abhängigkeiten von kritischen Rohstoffen zu reduzieren und nachhaltige Strategien zu etablieren.[6]
Besonders der Fokus auf Kreislaufwirtschaft und die Diversifizierung von Lieferketten eröffnet KMU die Möglichkeit, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Gleichzeitig zeigt der CRMA auf, wie wichtig es ist, den Umgang mit kritischen Rohstoffen systematisch zu überdenken und gezielte Maßnahmen zur Sicherung der Rohstoffversorgung einzuleiten. Die jüngsten globalen Krisen, wie die Corona-Pandemie und der Russland-Ukraine-Krieg, haben eindrücklich verdeutlicht, dass Unterbrechungen in Lieferketten schwerwiegende wirtschaftliche Konsequenzen haben können.[7][8]
Eine zentrale Herausforderung für KMU besteht darin, die Kritikalität der von ihnen genutzten Rohstoffe zu bewerten und diese Information in strategische Entscheidungen einzubeziehen. Eine solche Bewertung ermöglicht es Unternehmen, ihre Risiken besser zu verstehen, potenzielle Engpässe frühzeitig zu erkennen und Maßnahmen zur Risikominimierung zu ergreifen. Neben der Risikominderung können KMU durch den proaktiven Umgang mit kritischen Rohstoffen auch Vorteile im Rahmen des CRMA nutzen, etwa durch Förderungen oder Wettbewerbsvorteile, die gut aufgestellten Unternehmen vorbehalten sind.[9] Zur Unterstützung bietet sich die Anwendung strukturierter Methoden zur Kritikalitätsbewertung an. Diese ermöglichen eine systematische Analyse der Rohstoffsituation und dienen als Grundlage für fundierte strategische Entscheidungen.
Die sichere Versorgung mit kritischen Rohstoffen ist für KMU von strategischer Bedeutung. Angesichts globaler Unsicherheiten und steigender Nachfrage müssen sie innovative Ansätze verfolgen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Der CRMA schafft hierfür eine Grundlage mit klaren Zielen für Recycling, Eigenproduktion und Lieferkettendiversifizierung. Ein zentraler Hebel ist die systematische Bewertung von Versorgungsrisiken. Durch die frühzeitige Identifikation potenzieller Engpässe und die Analyse der wirtschaftlichen Bedeutung einzelner Rohstoffe können Maßnahmen wie die Diversifikation von Lieferketten oder der Einsatz nachhaltiger Alternativen ergriffen werden. Diese Ansätze sichern nicht nur Ressourcen, sondern eröffnen auch wirtschaftliche Chancen für Unternehmen, die frühzeitig handeln.
[1] CONSILIUM, (2024). Gesetz zu kritischen Rohstoffen. URL: https://www.consilium.europa.eu/de/infographics/critical-raw-materials/.
[2] EU-KOMISSION, (2023). Factsheet Europäische Verordnung zu kritischen Rohstoffen. URL: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/fs_23_1663.
[3] THORENZ, A., TUMA, A., RELLER, A., KOLOTZEK, C. und HELBIG, C., (2015). Nachhaltige Ressourcenstrategien in Unternehmen: Identifikation kritischer Rohstoffe und Erarbeitung von Handlungsempfehlungen zur Umsetzung einer ressourceneffizienten Produktion. DOI: 10.13140/RG.2.1.4463.5681.
[4] EU-KOMISSION, (2023). Factsheet Europäische Verordnung zu kritischen Rohstoffen. URL: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/fs_23_1663.
[5] HOOL, A., HELBIG, C. und WIERINK, G., (2024). „Challenges and opportunities of the European Critical Raw Materials Act“. In: Mineral Economics 37.3, S. 661–668. ISSN: 2191-2203. DOI: 10.1007/s13563-023-00394-y.
[6] EUROPÄISCHE UNION, (2024). Verordnung (EU) 2024/1252 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. März 2024 über kritische Rohstoffe. URL: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L_202401252.
[7] FELDHOFF, T. und SCHNEIDER, H., (2022). Georessourcen – Transformationen, Konflikte, Kooperationen. Berlin, Heidelberg: Springer
[8] LEHMACHER, W., (2016). Globale Supply Chain – Technischer Fortschritt, Transformation und Circular Economy. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
[9] HOOL, A., HELBIG, C. und WIERINK, G., (2024). „Challenges and opportunities of the European Critical Raw Materials Act“. In: Mineral Economics 37.3, S. 661–668. ISSN: 2191-2203. DOI: 10.1007/s13563-023-00394-y.
Die anfallenden Lederreste liegen in unterschiedlichen Größen, Sorten, Qualitätsstufen oder Verarbeitungsarten (z. B. gegerbt oder gefärbt) vor. Aktuell werden diese, wenn möglich, weiterverwendet, aber zum großen Teil verschenkt – selten auch weiterverkauft –, entsorgt oder geschreddert und zu Kunststoffplatten gepresst. Letzteres ist allerdings recht aufwandsintensiv und dadurch wenig lukrativ. Leder kann außerdem in mehrere Schichten gespalten und dann unterschiedlich weiterverwendet werden, z. B. als Verloursleder, umgangssprachlich auch als Wildleder bezeichnet. Zum Großteil werden aber auch hier einige der Schichten schließlich entsorgt. Geschäftsführer Jean-Thomas Keil sieht Potenzial in den Lederresten und möchte diese zu neuen Produkten verarbeiten, nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern vor allem im Sinne der Nachhaltigkeit. Dafür hat er sich für eine Potenzialanalyse an das Mittelstand-Digital Zentrum Augsburg gewandt.
In Online-Workshops und einem Vor-Ort-Besuch in Kassel diskutierte das Projektteam, bestehend aus Herrn Keil und den Mittelstand-Digital Expert:innen Christian Looschen und Maria Maier von der Technischen Universität München, folgende Fragen: Wie kann so ein nachhaltiges Remanufacturing-Produkt aussehen? Wie wird das Produkt konkret hergestellt? Wie nachhaltig ist diese Form der Aufbereitung wirklich? Dazu musste sich das externe Team zunächst ein Produktverständnis schaffen, also welche Sorten und Formen von aufbereitetem Leder (geschnitten, gespalten, geprägt etc.) es gibt und welche Produktionsschritte für das Vorhaben interessant sein könnten. Zum Beispiel lassen sich Stücke zu einem Patchwork-Material zusammenkleben, ohne dass Nähte oder Fügestellen sichtbar sind.
Als Ergebnis der Potenzialanalyse wurde ein Prozessentwurf entwickelt, wie Lederreste künftig analysiert und automatisiert platziert sowie schließlich aneinandergefügt werden können, um so neue Lederstücke für die Weiterverarbeitung zu schaffen. Ein solches Produkt könnte unter Umständen als „nachhaltig aus Restmaterial produziert“ gekennzeichnet werden und damit auch ein für Endkund:innen attraktives Kaufargument liefern. Letztendlich könnten so nicht nur eigene Schnittreste weiterverarbeitet werden, sondern beispielsweise auch von lederverarbeitenden Kunden günstig abgekauft und wiederaufbereitet werden und damit ein weiteres Geschäftsmodell etabliert werden.
Was sich so einfach zusammenfassen lässt, ist allerdings derzeit ein technisch und organisatorisch hochkomplexes Verfahren. Insbesondere die Analyse sowie das Platzieren sind zum aktuellen technischen Stand größere Herausforderungen. Mittels Leichtbauroboter, Kamera und einer KI-Lösung (z. B. einem Bilderkennungsalgorithmus) müssten zunächst die Zuschnitte flach platziert und dann klassifiziert werden – nicht nur hinsichtlich ihrer Maße, sondern auch nach Sorte, Qualität, Dicke und Festigkeit, Aufbereitungsart, Farbe oder Schicht. Zusätzlich müsste ein digitaler Abgleich mit einer vorgegebenen und im System eingelernten Produktpalette (spezielle Form und Größe für spezielle Kundenprodukte) erfolgen, um herauszufinden, welche Teile überhaupt zu welchem Produkt gefügt werden können. Auch das automatisierte Platzieren der Teile ist bei unterschiedlichen Festigkeiten und Formen nicht ganz einfach. Und schließlich müssten die zueinanderpassenden Teile exakt nebeneinander platziert und bzw. mittels Klebevorrichtung aneinandergefügt sowie ggf. noch zugeschnitten werden.
Es besteht auch die Möglichkeit beispielsweise nur das Analysieren und Vorgeben von Mustern von einer digitalen Lösung erledigen zu lassen und die restlichen Arbeitsschritte wie Platzieren und Fügen weiter analog durchzuführen. Hier stellt sich dann langfristig allerdings die Frage der Wirtschaftlichkeit.
Weil die Entwicklung einer solchen automatisierten Lösung für ein Kleinunternehmen nur schwer zu stemmen ist, empfehlen die Mittelstand-Digital Expert:innen, sich hier um ein öffentlich gefördertes Projekt zu bewerben und gemeinsam mit anderen Lederverarbeitern voranzutreiben. Herr Keil verfügt aufgrund seiner langjährigen Branchenkenntnis über ein großes Netzwerk und hat bereits ein Partner-Unternehmen mit an Board. Aktuell ist er auf der Suche nach weiteren interessierten Projektpartnern. Geplant ist, dass das Projekt künftig von der Technischen Universität München weiterbegleitet wird – auch was die Nachhaltigkeitsbewertung angeht. Bislang drehen sich Lebenszyklusanalysen von Produkten (Life Cycle Assessment) eher um die Vermeidung von Ausschuss, als um dessen Weiterverarbeitung. Weitere offene Fragen sind die konkrete Gestaltung einer Rückführungslogistik, eine Analyse von Marktgröße und erzielbaren Preisen sowie der Amortisation der nötigen Investition.
Im Zuge einer wachsenden Bedeutung von Nachhaltigkeitskennzahlen liegt in diesem Anwendungsfall jedoch auf jeden Fall großes Potenzial. Zudem könnte auch die Anwendung selbst ein Produkt von hoher Nachfrage sein, wenn es um die Wiederverwertung von Restmaterialien geht, die bisher auf dem Müll landen. Wichtig ist dabei unbedingt, „Greenwashing“ zu vermeiden, sondern vielmehr echten Nutzen zu schaffen.
Durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) werden Unternehmen in Zukunft verpflichtet, ihre Nachhaltigkeitskennzahlen in Form einer Klimabilanz zu veröffentlichen und extern prüfen zu lassen. Dabei werden die direkten und indirekten Treibhausgasemissionen eines Unternehmens erfasst. Durch die Erstellung können nicht nur Emissions-Hotspots identifiziert und gezielte Maßnahmen zur Emissionsreduktion entwickelt werden. Auch in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens ergeben sich zahlreiche Vorteile, wie einen zunehmenden Wettbewerbsvorteil auf dem Markt, höhere Chancen auf Kredite oder Fördermittel und Kosteneinsparungen.
Der Leitfaden „Klimabilanz erfassen und Treibhausgase reduzieren“ beinhaltet eine Schritt-für-Schritt-Anleitung und gibt Unternehmen eine Struktur an die Hand, welche bei der Erstellung und Nutzung der Unternehmensklimabilanz von Bedeutung ist. Diese führt auf, welche Emissionen in den verschiedenen Unternehmensbereichen direkt und indirekt durch dessen Aktivitäten anfallen und es wird erläutert, wie die detaillierten Verbrauchsdaten in den relevantesten Kategorien erfasst werden können. Abschließend stellt der Leitfaden verschiedene Maßnahmen dar, welche zur Dekarbonisierung eingeführt werden können, um Emissionen zu reduzieren und nachhaltiger zu wirtschaften.
Ergänzend dazu beinhaltet der Leitfaden ein Praxisbeispiel der Alois Müller GmbH, das aufzeigt, wie ein Energiemanagement-System zur Reduktion von Treibhausgasemissionen beitragen kann. Mit einer Kombination aus Solaranlagen, Blockheizkraftwerken und Energiespeicher-Systemen produziert das Unternehmen CO2-neutralen Strom und Wärme. Diese Maßnahmen haben nicht nur die Energiekosten gesenkt, sondern auch die Nachhaltigkeitsziele des Unternehmens unterstützt.
Die Erfassung der Klimabilanz und die Umsetzung von Dekarbonisierungsmaßnahmen sind somit entscheidende Schritte für eine nachhaltige Unternehmensführung. Dieser Leitfaden bietet eine praxisorientierte Unterstützung, um die Herausforderungen der Klimaberichterstattung zu meistern und langfristig von den Vorteilen einer nachhaltigen Produktion zu profitieren.