Supply Chain Transparenz als Wettbewerbsvorteil
In einer globalisierten Wirtschaft, in der Lieferketten zunehmend komplexer werden, ist die Supply Chain Transparenz (SCT) zu einem entscheidenden Faktor für den Erfolg von Unternehmen geworden. SCT bezeichnet die Offenlegung und den Austausch von Informationen über Produkte, deren Herkunft und Historie entlang der gesamten Lieferkette. Genau wie das Management von Lieferketten selbst ist auch die SCT eine organisationsübergreifende Aufgabe. Sie setzt sich zusammen aus Sichtbarkeit, also einem klaren Verständnis der einzelnen Komponenten in der Lieferkette über die direkten Zulieferer hinweg sowie der Nachverfolgbarkeit, also der Fähigkeit einzelne Materialien, Komponenten und Produkte über die Kette hinweg zu identifizieren und zu lokalisieren. Die Vorteile von SCT sind vielfältig und ihre Relevanz nimmt stetig zu.
Ein zentrales Anliegen im Kontext von SCT ist die Reduzierung der Risiken, die von internen und externen Disruptionen verursacht werden. Transparenz ermöglicht es Unternehmen, proaktive Maßnahmen zu planen, anstatt nur reaktiv zu handeln. So können beispielweise überflüssige Intermediäre oder Ursprünge wiederholter Engpässe identifiziert und die Wertschöpfungskette entsprechend neu justiert werden. Eine erhöhte Transparenz und Reaktionsfähigkeit bei allen Partnern reduziert so z.B. auch überproportionale Schwankungen der Bestellmengen in der Lieferkette bei kleinsten Änderungen in der Nachfrage des Endverbrauchers, den sogenannten Bullwhip-Effekt, der sich besonders auf KMU auswirken kann, die oft am Anfang oder in der Mitte der Lieferkette großer Produzenten stehen. SCT und Datenaustausch unterstützen auch maßgeblich Lernprozesse innerhalb und zwischen Unternehmen.
Des Weiteren führt SCT zu einer höheren Effizienz, da Unternehmen ein besseres Verständnis für ihre eigenen Wertschöpfungsprozesse gewährt wird. Dies führt zu einer Verbesserung der operativen Leistung, indem Prozesse schlanker und wandelbarer gestaltet werden können. So erlaubt SCT beispielsweise geringere Bestände, gesteigerte Kontrolle über Ausgaben und effizientere Logistik-Koordination. Ein Beispiel das in Unternehmen verschiedener Branchen relevant ist, sind Produkt-Rückrufe. Rückverfolgbarkeit ermöglicht eine schnellere Identifikation des Problemursprungs und erlaubt eine spezifischere Eingrenzung der betroffenen Produkte. Mit einem wachsenden Markt zunehmend fortschrittlicher Imitate ermöglicht SCT auch eine Validierung von Reklamationen.
Darüber hinaus trägt SCT dazu bei, die ständig steigenden Anforderungen an die Verfügbarkeit von Informationen und die Rückverfolgbarkeit von Produkten zu erfüllen. Einerseits wird dies durch zunehmend striktere Regulatorik ausgelöst, sowohl auf nationaler (z. B. Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz), als auch auf internationaler Ebene (z. B. Corporate Sustainability Reporting Directive, European Sustainable Products Regulation, etc.). Andererseits steigt die generelle Erwartungshaltung von Konsumenten bezüglich der Nachhaltigkeit von Produkten. In einer Zeit, in der das öffentliche Bewusstsein für soziale wie auch Umweltfragen zunimmt, wachsen die Anforderungen an Unternehmen ihre Lieferketten zu überwachen, um Missstände zu identifizieren.
Die genannten Punkte zeigen, das SCT zu einem relevanten Wettbewerbsvorteil wird und die Implementierung verschiedener Optimierungsansätze befähigt. Die Digitalisierung hat einen maßgeblichen Einfluss auf SCT. Digitale Technologien wie Radio Frequency Identification (RFID), das Internet of Things (IoT) und zunehmend performantere Algorithmen ermöglichen und unterstützen die effektive und effiziente Datensammlung und –auswertung. Allgemein können die verschiedenen Technologien eingesetzt werden, um damit Prozesse zu überwachen und die automatisierte Verarbeitung von Daten und Informationen zu ermöglichen. Des Weiteren schaffen sie durch die Entwicklung und Optimierung von Möglichkeiten zum Austausch und der gemeinsamen Nutzung von Daten die entsprechenden Voraussetzungen zur Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und entlang der gesamten Lieferkette.
Hürden bei der Umsetzung von Supply Chain Transparenz
Trotz der oben genannten Vorteile und technologischen Möglichkeiten gibt es zahlreiche Barrieren, die Unternehmen daran hindern, SCT als Ziel zu verfolgen bzw. deren Ausbau voranzutreiben.
Eine der größten Herausforderungen ist die Komplexität der Lieferketten selbst. Viele Unternehmen unterschätzen den Aufwand, der erforderlich ist, um Sichtbarkeit über direkte Beziehungen hinaus zu schaffen. Oft ist die Sichtbarkeit der Wertschöpfungsstufen zu Beginn der Kette am geringsten oder die beteiligten Parteien sind überhaupt nicht zu identifizieren.
Ein weiteres Hindernis ist die Angst vor dem Verlust geistigen Eigentums. Unternehmen sind besorgt, dass sie durch den Austausch von Informationen in ihrer Lieferkette Wettbewerbsvorteile verlieren könnten. Verbunden hiermit sind Unklarheiten über die Erwartungshaltung der Partner und die Verwendung von Daten. Diese Sorgen aufgrund mangelnden Vertrauens und fehlender Kontrollmechanismen verhindern die Herausgabe von Daten.
Darüber hinaus stellen die mangelnde Interoperabilität und das Fehlen geeigneter Systeme ein wesentliches Hindernis für den Datenaustausch über Unternehmensgrenzen hinweg dar. Bestehende Systeme sind häufig proprietär und nicht darauf ausgelegt, den Anforderungen einer internen und externen Zusammenarbeit mit mehreren Parteien gerecht zu werden, was die Einführung von SCT zusätzlich erschwert. Um SCT zu erreichen, ist ein aktiver und einfacher Austausch von Daten zwischen den Unternehmen notwendig.
SCT erfordert standardisierte Methoden und Praktiken, die alle Akteure innerhalb des Netzwerks, aber auch der einzelnen Unternehmen beachtet und einbezieht. Eine Standardisierung des Datenaustausches und des Umgangs mit den Daten wird auch organisationale Änderungen mit sich bringen. So ist eine angemessene „Data Governance“, also Regelungen für den Zugang und die Verantwortung über die Erhebung, Bewertung und Änderung von Daten notwendig. Diese Standards dürfen jedoch nicht nur für ein Liefernetzwerk getroffen werden, sondern müssen sektorweit bzw. sogar sektorübergreifend wirksam sein. Die Standardisierung bezieht sich auch auf die Daten selbst, um ihre Zuverlässigkeit und Genauigkeit sicherzustellen.
Erfolgreiche Standardisierung kann nur unter Einbezug und vor allem Austausch und Kollaboration aller am Datenaustausch Beteiligten möglich gemacht werden. Um diese Kollaboration auch effizient umzusetzen, müssen unternehmerische Strategien, Methoden der Datenerhebung und digitale Technologien für ihren Austausch abgestimmt werden.
Etablierte Systeme für transparente Lieferketten adressieren Hürden nur ungenügend
Um SCT im großen Stil zu ermöglichen, müssen Systeme bestimmte Anforderungen erfüllen. Zunächst müssen sie eine Verbindung zu allen Ebenen der Lieferkette herstellen und den aktiven Austausch von Informationen fördern. Ein solches System soll auch die Integration von Informationen unter den Mitgliedern der Lieferkette fördern, um Wissensasymmetrien zu eliminieren und sicherzustellen, dass alle Beteiligten über die gleichen Informationen verfügen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Gewährleistung der Datensicherheit und Datensouveränität. Unternehmen müssen die Gewissheit haben, die Kontrolle über ihre Daten zu behalten, um Bedenken hinsichtlich Missbrauchs und Verlustes von geistigem Eigentum zu adressieren. Ein transparentes System muss klare Richtlinien für den Datenaustausch und die Verwendung von Informationen enthalten sowie Nachverfolgbarkeit der Nutzung sicherstellen, um das Vertrauen zwischen den Partnern zu stärken und Gleichheit zu sichern. Nur durch diese Absicherungen kann das für Kollaboration notwendige Vertrauen aufgebaut werden.
Die koordinierende Instanz eines solchen Systems muss standardisierte Datenformate und Protokolle definieren, um sicherzustellen, dass Informationen effizient und effektiv ausgetauscht werden können.
Die systemischen Lösungsansätze, die entsprechend dieser Anforderungen in den letzten Jahren entstanden sind, gestalten sich häufig als web-basierte Plattformen für einen Supply Chain Datenaustausch. Über sie konnten neue Erfolge im Datenaustausch und unternehmensübergreifender Kollaboration für SCT erreicht werden. Heute sind diese Plattformen zumeist noch im Besitz eines Akteurs, fokussieren sich auf das Netzwerk eines singulären Unternehmens oder im besten Fall auf einzelne Branchen. Der Betrieb einer solchen Plattform erfordert enorme Kompetenzen und Ressourcen von der Infrastruktur über Vernetzungs- und Speichermechanismen, weswegen große Konzerne aus der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) die entsprechenden Ressourcen oft als cloud-basierten Service anbieten. Die Nutzung dieser Plattformen für einen SCT-Datenaustausch geht in heute gängigen Modellen allerdings mit einem Kontrollverlust über diese Daten an den Betreiber der Plattform einher, da sie gemeinhin zentral auf dessen Servern zwischengespeichert werden. Darüber hinaus bieten sie so eine ressourcenreiche zentrale Angriffsfläche für Cyberattacken.
Forderungen nach einem dezentralen Ersatz für diese Infrastruktur haben daher neue Konzepte und Ansätze wie Blockchain für SCT und föderierte Datenökosysteme und Datenräume hervorgebracht. Sie sollen für mehr Transparenz über die Datenfreigabe und -nutzung sorgen, das Machtgefälle ausgleichen und vor allem die sogenannte zentrale „Datenkrake“ durch die Schaffung von Souveränität überbrücken.
Föderierte Datenökosysteme und Datenräume als Gegenentwurf zur klassischen Plattform
Ökosysteme jeglicher Form sind im Kern eine Zusammenkunft verschiedener Akteure, welche kollektiv einer Herausforderung begegnen. Die kollektive Herausforderung, die Datenökosystemen zugrunde liegt, ist das Generieren von Mehrwert aus Daten und Informationen, z. B. für den Aufbau transparenter Lieferketten.
Die beteiligten Akteure nutzen Daten und verwandte Ressourcen gemeinsam, um Werte zu schaffen, die sie allein nicht erreichen könnten. Diese Zusammenarbeit ist entscheidend, da der Austausch von Daten die zentrale Motivation für die Bildung eines Datenökosystems darstellt.
Wesentliche Rollen innerhalb eines Datenökosystems sind Datenkonsumenten, Datenanbieter und Intermediäre. Datenkonsumenten konsumieren angebotene Daten und können dabei auf die Unterstützung von Intermediären (z. B. Analytics-Dienstleister) angewiesen sein, um die bereitgestellten Daten aufzubereiten oder zu transformieren. Akteure können in unterschiedlichen Szenarien verschiedene Rollen einnehmen.
Nach dieser Logik entwickeln sich Datenökosysteme um eine technische Infrastruktur, die entweder zentralisiert über eine Plattform oder dezentral durch einen sogenannten „Datenraum“ gestaltet werden kann. Um den generierten Mehrwert zu maximieren, die Hürden beim Datenteilen zu überwinden und Dezentralität zu fördern, hat das Konzept des Datenraums in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Bei dieser Variante wird vermehrt von föderierten Datenökosystemen gesprochen. In der wissenschaftlichen Diskussion ist die Verwendung der Begriffe „Datenraum“ und „Datenökosystem“ nicht einheitlich. Es wird jedoch vermehrt wie folgt beschrieben: Datenökosysteme bilden sich um einen Datenraum herum.
Datenräume bieten eine dezentrale Infrastruktur für den vertrauensvollen Austausch von Daten und basieren auf gemeinsamen Standards und Protokollen, die den Datenaustausch und die Interoperabilität zwischen verschiedenen Datenräumen und Datenökosystemen unterstützen. Die technische Architektur eines Datenraums umfasst mehrere Bausteine, die auf die spezifischen Anforderungen der Nutzenden zugeschnitten werden können, ohne dabei die Kernfunktionen der Datenintegration und Datensouveränität zu verlieren:
- Interoperabilität wird durch standardisierte Datenformate, Schnittstellen und Kommunikationsprotokolle gewährleistet.
- Vertrauen wird durch Zugangs- und Identitätskontrolle sowie Identitätsprüfung gewährleistet. Die Verifizierungsmechanismen werden ebenfalls kollektiv abgesegnet.
- Datenwert wird einerseits durch eine Katalogisierung und Suchoptionen, welche Anfragen zu Datenpaketen erlauben, geschaffen. Andererseits sichern Zugangs- und Identitätskontrollen, wie auch „smarte Verträge“, dass der Wert der Daten auch nach dem Teilen bestehen bleibt und Missbrauch oder Lecks vorgebeugt werden.
- Governance beschreibt alle vom Kollektiv der Teilnehmenden (man spricht auch von einem „föderierten“ oder „Allianz-geführten“ Ansatz) festgelegten Regeln und Vorschriften, die den Datenraum strukturieren und welchen alle Beteiligten zugesagt haben müssen. Zudem umfasst es Kontrollmechanismen, die die konstante Einhaltung dieser Regeln gewährleisten.
- Konnektoren beschreiben die Anwendungen, welche die Teilnehmenden verwenden, um Zugang zum Datenraum zu erhalten (z. B. zu den dort aufzufindenden Datenangeboten und Services) und welche den direkten peer-to-peer Datenaustausch ermöglichen.
Entscheidender Aspekt der Datenräume ist, dass sie eine transparente und kontrollierbare Umgebung schaffen, in der Unternehmen entlang der gesamten Lieferkette Daten austauschen können. Das hilft, Bedenken hinsichtlich der Offenlegung kritischer Daten zu überwinden und fördert eine aktive Teilnahme der Akteure.
Wo müssen Unternehmen heute ansetzen, um morgen zu profitieren?
Der Transformationsprozess, der im Rahmen der Teilnahme- und Anschlussfähigkeit an ein föderiertes Datenökosystem und einen Datenraum durchlaufen wird, ist nicht zu unterschätzen. Dennoch finden sich einige Vorteile und Synergien mit dem ganzheitlichen Digitalisierungsprozess von Unternehmen:
- SCT ist ein Sammelbegriff, dessen Vorteile hier nur angerissen wurden. Unternehmen jeder Größe müssen ihre individuellen Vorteile und Anwendungsbereiche von Transparenz definieren. Nur so können sie im Ökosystem selbstbewusst auftreten und die für sie relevanten Daten identifizieren und anfordern.
- Parallel sind Supply Chain Fragestellungen wiederum nur ein Teilbereich der Anwendungsfälle von Datenökosystemen. Von Automatisierungslösungen für die Fertigung über niedrigschwellige Bereitstellung von KI-basierten Lösungen hin zum Aufbau neuer datenbasierter Serviceangebote für Kunden ist der Spielraum groß. Je mehr Potenzial und Anwendungsfälle identifiziert werden, desto rentabler wird die Investition in den Aufbau der notwendigen Infrastruktur und Prozesse.
- Um Nutzenpotenziale aufzudecken, sollten Unternehmen sich bereits heute ihr Ökosystem vergegenwärtigen. Eine detaillierte Analyse der bestehenden Lieferanten, Kunden, Dienstleister, Institutionen und weiterer strategischer Partner erleichtert die Identifikation interessanter Datensätze ebenso wie Interessenten an den eigenen Datenangeboten.
- Sowohl die standardkonforme Bereitstellung der von Datenkonsumenten angefragten Datensätze als auch die Verarbeitung von erhaltenen Daten stellen Anforderungen an die Unternehmens- und IT-Architektur. Beispielsweise müssen neue Verantwortlichkeiten und Zugriffsrechte verteilt werden, aber auch die Speicherung und Integration erfordern möglicherweise neue Systeme oder Anpassungen an Legacy-Systemen.
Die hier erwähnten Ansätze spielen sowohl im Kontext der Teilnahme an Datenökosystemen als auch in der Planung und dem Aufbau einer Digital- bzw. Datenstrategie eine Rolle. Die Kompetenzen, wie beispielsweise die Identifikation von Nutzenpotenzialen und deren Bewertung, wie auch die Nutzenpotenziale selbst können sowohl für das eine als auch für das andere relevant sein. Dasselbe gilt für die Zukunftsanforderungen an die Architektur eines Unternehmens. Weitere Erleichterung soll durch Software-Komponenten gegeben werden, welche „off the shelf“ genutzt werden können. Sie sollen vor allem kleinen und mittleren Unternehmen einen niedrigschwelligen Zutritt ermöglichen.