Die weltweite Zunahme der Klimaschutzgesetzgebung stellt Unternehmen und damit auch KMU vor eine Vielzahl an Herausforderungen. Gesetze wie das Klimaschutzgesetz in Deutschland oder Verordnungen wie die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) auf EU-Ebene nehmen Unternehmen bezüglich der Berichterstattung hinsichtlich ihrer klimawirksamen Emissionen und deren Reduktion konkret in die Pflicht. Bis 2028 wird die Zahl der berichtspflichtigen Unternehmen stufenweise erhöht. Auch kapitalmarktorientierte KMU fallen dann unter die Berichtspflicht. Voraussichtlich werden 13.000 bis 15.000 deutsche Unternehmen die neuen CSRD-Vorgaben direkt erfüllen müssen. Auch wenn nicht kapitalmarktorientierte kleinste, kleine und mittlere Unternehmen davon nicht direkt betroffen sind, ist zu erwarten, dass die Anforderungen von größeren und berichtspflichtigen Unternehmen entlang von Lieferketten weitergegeben werden.
Gleichzeitig sorgt das den rechtlichen Rahmenbedingungen zugrundeliegende Ziel der Eindämmung des menschengemachten Klimawandels für nachhaltigkeitsorientiertes Denken in der Gesellschaft. Dieses äußert sich auch in bewussterem Konsumverhalten von Endverbrauchern, das wiederum durch die Weitergabe von Berichts- und Reduktionszielen entlang von Wertschöpfungsketten auf alle beteiligten Unternehmen Auswirkungen hat. Unternehmen aller Größenklassen setzen sich daher Dekarbonisierungsziele und fordern zunehmend Nachweise des CO2-Fußabdrucks von ihren Lieferanten. Der CO2-Fußabdruck umfasst hier neben CO2 auch alle weiteren Treibhausgasemissionen. Eine nachgewiesen klimawirkungsorientierte Produktion, in der Schritte zur Reduktion des CO2-Fußabdrucks unternommen werden, wird sich daher bei der Auftragsvergabe und Unternehmensfinanzierung zukünftig immer stärker vorteilhaft auswirken. Grundsätzlich lässt sich festhalten: Ökologische Nachhaltigkeit in Form eines geringen CO2-Fußabdrucks von Unternehmen und Produkten lohnt sich bereits heute und wird sich zukünftig immer stärker auszahlen – auch für KMU.
Viele Verursacher industrieller Treibhausgasemissionen in der Produktion
Das Greenhouse Gas Protocol (GHG) teilt relevante Bestandteile des CO2-Fußabdrucks von Organisationen in drei Scopes ein. Neben den organisationsinternen Emissionsquellen stehen dabei auch die entlang von vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsketten anfallenden Emissionen im Fokus. Abbildung 1 zeigt eine Übersicht der Scopes 1 und 2 sowie den Teil der vorgelagerten Wertschöpfungskette von Scope 3.
Scope 1 umfasst vor Ort anfallende direkte Emissionen von Treibhausgasen in mobilen und stationären Anlagen, also Verbrennungsabgase und flüchtige klimarelevante Gase.
In Scope 2 sind Emissionen aus der Erzeugung von eingekaufter Energie zusammengefasst. Enthalten sind hier beispielsweise extern bezogener Strom und Dampf, Fernwärme und Fernkälte.
Scope 3 beinhaltet alle anderen entlang der Wertschöpfungskette anfallenden Emissionen. Verursacher von Scope-3-Emissionen in der vorgelagerten Wertschöpfungskette sind gekaufte Waren und Dienstleistungen, Anlagegüter (wie Maschinen, Anlagen und Fahrzeuge), Geschäftsreisen, der Berufsverkehr der Mitarbeitenden, die Abfallentsorgung, die Nutzung von Mietobjekten, Transporte sowie Aufwände für die Förderung und Bereitstellung von Energieträgern und Brennstoffen. In die Scope-3-Emissionen der nachgelagerten Wertschöpfungskette fallen Transporte, getätigte Investitionen, Franchisevergaben, die Vermietung von Objekten, Transporte und Verwendung von produzierten Gütern, die Weiterverarbeitung von Produkten sowie deren Endverwertung. Hier wird deutlich, dass Scope-3-Emissionen aufgrund ihrer Zusammensetzung und ihrer Entstehung, die teilweise außerhalb von Unternehmensgrenzen liegt, meist den am schwierigsten zu quantifizierenden und dementsprechend oft schwer beeinflussbaren Teil des Gesamt-CO2-Fußabdrucks von Unternehmen darstellen.
Im Rahmen der Organisation ihres eigenen Produktionsablaufs haben produzierende Unternehmen dennoch Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Emissionstreiber in allen drei Scopes. Die wichtigsten Ansätze sind dabei die gezielte Effizienzsteigerung und die flexible Anpassung der Nutzungsarten und Bezugsquellen von Energie und Material. Die Produktion stellt daher innerhalb produzierender Unternehmen ein zentrales Handlungsfeld für die Reduktion von Treibhausgasemissionen mit allen ihr zuarbeitenden peripheren Bereichen dar. Neben Produktionsanlagen zählen dazu auch die Energie- und Medienversorgung, die technische Gebäudeausstattung und Intralogistiksysteme. Die Nutzung vorhandener organisatorischer Potenziale zur Reduktion von Treibhausgasemissionen bietet gegenüber möglichen strukturellen Anpassungen an Energie- und Produktionssystemen und der Kompensation von CO2-Emissionen Vorteile. Diese sind in der Regel mit signifikanten Investitionskosten beziehungsweise laufenden Kosten verbunden. Die Kompensation von CO2-Emissionen sieht sich zudem zunehmend Zweifeln bezüglich ihrer Langfristigkeit und Validität ausgesetzt.
Organisatorische Maßnahmen im Rahmen der Produktionsplanung und -steuerung
Organisatorische Maßnahmen im Bereich der Anpassung des Produktionsablaufs können in der Regel ohne Investitionen durchgeführt und durch gezielte Entscheidungen im Betrieb des bestehenden Systems umgesetzt werden. Das organisatorische Mittel in diesem Kontext ist die Produktionsplanung und -steuerung (PPS). Ihre Kernaufgaben nach dem Aachener Modell beinhalten beispielsweise die Eigenfertigungsplanung und -steuerung mit Losgrößenrechnung, Feinterminierung, Ressourcenfeinplanung und Reihenfolgeplanung. Hier können Material- und Energieeffizienz sowie Energieflexibilität gezielt gesteuert und eingesetzt werden. Eine weitere Kernaufgabe ist die Fremdbezugsplanung und -steuerung, in der die Scope-3-Emissionen von Eingangsmaterialien beeinflusst werden können. Auch in den Querschnittsaufgaben Auftragsmanagement und Bestandsmanagement sowie den Netzwerkaufgaben (z. B. Netzwerkkonfiguration, also Lieferentenauswahl) ergeben sich Möglichkeiten zur gezielten Reduktion der in der Wertschöpfung entstehenden Klimawirkungen.
PPS-basierte Energieeffizienzmaßnahmen wirken sich im Allgemeinen positiv auf Scope-2-Emissionen aus. Eine höhere Materialeffizienz kann durch eine auf Materialhaltbarkeit
und -abfallvermeidung ausgerichtete PPS erreicht werden. So können Scope-3-Emissionen der vorgelagerten Wertschöpfungskette vermieden werden. Scope-3-Emissionen der nachgelagerten Wertschöpfungskette sind hingegen über die PPS in der Regel nicht beeinflussbar. Exemplarisch werden hier einige Möglichkeiten zur Reduktion der Klimawirkungen durch PPS aufgeführt:
- Lange Warmhaltezeiten oder häufige Aufwärmvorgänge können durch optimierte Auftragsplanung reduziert und im Fall von direktbefeuerten Prozessen direkte Scope-1-Emissionen vermieden werden.
- Durch energieflexible PPS kann der Anteil von eigenerzeugter regenerativer Energie aus Photovoltaik-Anlagen (PV-Anlagen) am eigenen Energieverbrauch erhöht werden, indem energieintensive Prozesse oder Aufträge in Zeiten hoher PV-Stromerzeugung geplant werden. Somit wird der Bezug von Netzstrom aus teilweise fossilen Quellen und Scope-2-Emissionen gesenkt.
- Über Anpassungen des Aufkommens und Routenführung von Intralogistikprozessen in der PPS können Transportwege und damit Scope-1-Emissionen von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor oder Scope-2-Emissionen von Elektrofahrzeugen eingespart werden.
Die konkreten anwendungsfallspezifischen Zusammenhänge zwischen organisatorischen Entscheidungen und den resultierenden Auswirkungen auf die Treibhausgasemissionen von Produktionssystemen sind stets stark von den jeweiligen Produktionsprozessen und deren Verkettung abhängig. Je nach Energie-, Medien- und Materialintensität steigt und fällt dabei auch die Bedeutung der Produktionsperipherie mit technischer Gebäudeausrüstung und Logistiksystemen. In jedem Fall ist zu beachten, dass PPS-Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen unter Umständen unerwünschte Auswirkungen auf ökonomische und logistische Ziele der Produktion haben können. Für die Nutzung von Nachhaltigkeitspotenzialen der PPS ist daher eine individuelle Betrachtung der Wechselwirkungen mit den logistischen Zielen der Produktion beziehungsweise den Zielen anderer Domänen und Stakeholdern erforderlich. Neben den genannten Möglichkeiten zur Einflussnahme in klassischen Produktionssystemen stellt die PPS auch einen wichtigen Bestandteil von zirkulären Systemen der Kreislaufwirtschaft dar.
Welche Einflussmöglichkeiten gibt es in meinem Produktionssystem?
Zur Identifikation und Auswahl der individuellen Stellhebel zur Reduktion der Klimawirkung über die PPS bietet sich ein mehrstufiges Vorgehen an. Zunächst müssen die individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Anwendungsfalls durchleuchtet werden. Damit können Anforderungen, Randbedingungen und vor allem Informationsbedarfe definiert werden. Diese können im Anschluss durch gezielte Maßnahmen zu Transparenzschaffung, zum Beispiel durch Verknüpfung bestehender Produktions-, Material- und Energiedaten oder deren Erfassung durch Einrichtung kontinuierlicher sowie Durchführung einmaliger Messungen bedient werden. Relevante Bestandsdaten liegen beispielsweise in Enterprise-Resource-Planning-Systemen (ERP-Systemen) in Form von Einkaufs- und Verbrauchsmengen, Lieferanteninformationen, Materialdaten, Arbeitsplänen, Zeitmodellen, Stücklisten und Energierechnungen vor. Via Messung zu erfassende Daten können lokale Energie- und Medienverbräuche oder Ist-Bearbeitungszeiten sein. Die Erfassung der Energiedaten kann beispielsweise durch ein Energiemonitoring-System (EnMS) erfolgen. Ebenfalls denkbar ist die Einbindung von Prognosedaten aus internen oder externen Quellen.
Nach Schaffung ausreichender Transparenz können die Stellhebel identifiziert und hinsichtlich ihrer ökologischen, produktionslogistischen und ökonomischen Auswirkungen bewertet und priorisiert werden. Dafür können zunächst anwendungsfallspezifische energie- und nachhaltigkeitsbezogene Kennzahlen definiert werden. Die theoretische Basis für individuelle ökologische Kennzahlen bilden beispielsweise die Bewertungsgrößen Product Carbon Footprint (PCF) und Corporate Carbon Footprint (CCF). Entsprechende Berechnungsgrundlagen liefert unter anderem die Methode des Life Cycle Assessment (LCA). Die Bewertung ermöglicht eine fundierte Kosten-Nutzen-Analyse und gewährleistet, dass etwaige „Low-Hanging-Fruits“ identifiziert werden können. Außerdem können die Kosten für organisatorische Maßnahmen der PPS mit möglichen strukturellen und investitionsbehafteten Anpassungen oder Kompensationsprojekten abgeglichen werden.
Nach der initialen Identifikation und den ersten Umsetzungen von Einmal-Maßnahmen kann im nächsten Schritt die langfristige Operationalisierung der identifizierten Maßnahmen in der PPS erfolgen. Als Grundlage dafür müssen idealerweise kontinuierlich erfasste Daten in PPS-Systeme eingebunden und gegebenenfalls Datenverbindungen zwischen PPS-Systemen und weiteren bestehenden Datensystemen geschaffen werden. Eine ganzheitliche Digitalisierung der PPS ist dabei als Basis für die Transformationen zu einer nachhaltigen PPS (nPPS) ideal.
Wie kann nPPS konkret aussehen?
Ein anschauliches Beispiel für den Ablauf der Umsetzung von Maßnahmen im Rahmen der nPPS ist die lang- bis kurzfristige Anpassung des Strombedarfs der Produktion an eine vorhandene PV-Anlage. Durch intelligente Angleichung des Produktionsablaufs kann der Anteil an eigenerzeugter regenerativer Energie am Energiebedarf der Produktion erhöht werden. Bei Substitution von fossilem Netzstrom durch regenerativ erzeugten Strom werden Scope-2-Emissionen vermieden.
Dafür muss der vom Auftragsbestand und -volumen abhängige Bedarfslastgang des Produktionssystems an den wetter- und jahreszeitabhängigen Erzeugungslastgang der PV-Anlage angeglichen werden.
Dies kann durch verschiedene Anpassungen im Rahmen der PPS-Aufgaben erfolgen:
- Langfristige Anpassungen des Produktionsprogramms an die saisonale Verfügbarkeit von eigenerzeugtem Strom, z. B. durch Planung der Fertigung energieintensiver Aufträge in den Sommermonaten
- Mittelfristige Verschiebung energieintensiver Aufträge in die Mittagsstunden im Rahmen der Produktionsplanung auf Wochen- oder Tagesbasis, z. B. durch Anpassung der Produktionsreihenfolge, Anpassung der Kapazitätsplanung oder Anpassung von Schichtzeiten
- Kurzfristige Eingriffe bei untertägiger geringer Sonneneinstrahlung bei Wolkenfronten o. Ä. im Rahmen der Produktionssteuerung, z. B. durch Unterbrechung von Aufträgen, Verschieben von Auftragsstarts oder Veränderung der Auftragsreihenfolge
Als Grundlage für die Entscheidung zu Art, Umfang und Zeitpunkt der Umsetzung solcher Maßnahmen sind verschiedene unternehmensinterne und externe Daten erforderlich. Beispielsweise können ein langfristiges Produktionsprogramm, der tagesbezogene Auftragsbestand und zugehörige Stammdaten aus ERP-Systemen sowie die detaillierte Auftragsreihenfolge und Maschinenbelegungsplanung aus Manufacturing-Execution- oder Advanced-Planning-and-Scheduling-Systemen zusammen mit Energieverbrauchskennwerten und CO2e-Emissionsfaktoren (Neben CO2 umfassen CO2-Äquivalente (CO2e) auch alle weiteren Treibhausgasemissionen) die Basis für die Eigenverbrauchssteigerung bilden.
Digitale Hilfsmittel wie Sensorik zur Erfassung der Ist-Verbräuche und -Erzeugung, Prognosetools, Energiedatenmodelle von Produktionsressourcen und Wetterdatenservices verbessern die vorhandenen Daten in Menge und Qualität. Sie bieten auch die Grundlage für die Erweiterung um ganzheitliche Optimierungsalgorithmen oder Anwendungen Künstlicher Intelligenz.
Nachhaltige Produktionsplanung und -steuerung kann Treibhausgasemissionen senken oder vermeiden
Im Rahmen der Aufgaben der PPS bieten sich vielfältige Möglichkeiten zur Steigerung der ökologischen Nachhaltigkeit. Organisatorische Energie- und Materialeffizienz, die flexible Anpassungen an das Angebot von Energie aus erneuerbaren Quellen, die Vermeidung von Abfällen oder Kreislaufwirtschaft sind hier konkrete Beispiele. Um in spezifischen Fällen geeignete Lösungen zu finden, müssen die individuellen Gegebenheiten des betreffenden Produktionssystems und seiner Peripherie erfasst, analysiert und entsprechend berücksichtigt werden. Die Zusammenarbeit mit Expert:innen für nachhaltige Produktionssysteme und Dekarbonisierung des Mittelstand-Digital Zentrums Augsburg ermöglicht es Unternehmen, hier von Fachwissen und Erfahrung zu profitieren.
Organisatorische Anpassungen können in verschiedenen Ausprägungen im System implementiert werden. Für eine langfristige Verankerung der Nachhaltigkeit in der PPS müssen entsprechende Kennzahlen und Mechanismen in bestehende Systeme und Software integriert beziehungsweise in entsprechenden Erweiterungen umgesetzt werden. Die Hinzunahme der Zielgröße CO2e-Emissionen steigert die Komplexität der PPS. Der Einsatz digitaler Lösungen kann Unternehmen dabei helfen, die Komplexität und entstehende zusätzliche Aufwände zu meistern und ein ganzheitlich nachhaltiges Ergebnis zu erzielen.