Industrie 1.0 meets 4.0 – am 13. Februar 2019 fand die Regionalkonferenz vom Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Augsburg im Textil- und Industriemuseum statt. In historischer Umgebung ging es um den Wandel der Arbeitswelt und um die Bedeutung der Digitalisierung für produzierende Unternehmen. Über 150 Teilnehmer tauschten sich über ihre Erfahrungen aus und lernten neue Technologien kennen. Fragen, die den Mittelstand beschäftigen: Wo sollen Unternehmen ansetzen und lohnt sich Digitalisierung überhaupt?
Prof. Gunther Reinhart (Institutsleiter Fraunhofer IGCV) begrüßte die Gäste der Mittelstand 4.0-Regionalkonferenz.
Über 150 Gäste nahmen teil.

Als eines von 25 Kompetenzzentren in Deutschland hat das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Augsburg die Aufgabe, kleine und mittlere Unternehmen mit kostenfreien Angeboten bei ihrer Digitalisierung zu unterstützen. Schulungen, Technologien zum Ausprobieren, Leitfäden oder Potenzialanalysen geben bayerischen KMUs die nötigen Werkzeuge an die Hand, um Herausforderungen wie Fachkräftemangel, Kostendruck und globalen Wettbewerb zu meistern. Stefan Schnorr, Leiter der Abteilung Digital- und Innovationspolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), betonte, dass trotz der vollen Auftragsbücher die Weiterbildung der Mitarbeiter einen zentralen Stellenwert haben muss. Eine wichtige Voraussetzung, um langfristig erfolgreich zu sein und die Akzeptanz bei den Mitarbeitern zu sichern.

Stefan Schnorr, Leiter der Abteilung Digital- und Innovationspolitik im BMWi.

Um Akzeptanz ging es auch bei Frank Rieger vom Chaos Computer Club. Alle technologischen Entwicklungen basieren auf der sozialen Akzeptanz in unserer Gesellschaft. Er appellierte daran, die Macht, die Digitalisierung und Automatisierung mit sich bringen, verantwortungsvoll und bedacht einzusetzen. Wir selbst hätten in der Hand, digitale Technologien so zu verwenden, dass sie dem Nutzen für den Menschen dienen. Als Ansatzpunkt für Unternehmen stellte er die Frage: „Bei welchen Daten würden Sie wirklich weinen, wenn Sie wegkommen?“. So fänden KMUs ihre Kernkompetenzen heraus, die es zu schützen gilt und wo sich Innovation wirklich lohnt.

Frank Rieger vom Chaos Computer Club über das Leben in einer durchdigitalisierten Wirtschaft.

Unternehmen berichteten, was Digitalisierung konkret für sie bedeutet

Norman Weiß, Geschäftsführer des mittelständischen Unternehmens ME Industries, stellte sich früh die Frage, wie er seine Mitarbeiter dazu bringen kann, statt mit Papier in Zukunft mit RFID, Tablets und Co. zu arbeiten. „Vertrauen ist für mich der Schlüssel, um Projekte erfolgreich zu machen. Dafür musste ich ein Ökosystem aus Experten, Förderprojekten und anderen Unternehmen schaffen, dem unsere Mitarbeiter vertrauen können“, erklärt Weiß. Nur so könne das nötige Know-how ins Unternehmen gebracht und Motivation und Kreativität gefördert werden.

Auch im Praxisbericht von Andrea Breiter von Schwan STABILO geht es um die Rolle eines vertrauensvollen Partners. Zum Start der Potenzialanalyse mit dem Kompetenzzentrum war STABILO schon mittendrin, ein Manufacturing Execution System einzuführen. Dieses soll Transparenz in die Stifteproduktion bringen und ermöglichen, flexibler auf die schwankenden Anforderungen des Marktes zu reagieren. Frau Breiter fragte sich während der Projektarbeit: „Wir konnten nicht gut einschätzen, wo wir eigentlich stehen – sind wir gut oder schlecht im Digitalisieren?“. Der Blick von außen durch Experten des Kompetenzzentrums gab dem Unternehmen die Bestätigung, auf dem richtigen Weg zu sein. Außerdem unterstützt das Zentrum bei der Anbindung 20 Jahre alter Maschinen an das neue Netzwerk und dabei, Mitarbeiter in Vorträgen und Fragerunden über die digitale Vernetzung zu informieren.

Norman Weiß über den Stellenwert von Weiterbildung.
Andrea Breiter gab Einblicke, wie STABILO die Stiftefertigung digitalisiert.

In der Podiumsdiskussion mit den Rednern wurde auch das Thema Wirtschaftlichkeit angesprochen. Vor allem wenn heute noch keine Daten zum Beispiel über Stillstandzeiten oder Maschinenauslastung vorliegen, sei es nicht leicht, Digitalisierungsvorhaben in ihrem ROI (Return on Investment) zu bestimmen. Die Redner sind sich einig, dass der finanzielle Nutzen oft nur über den Daumen geschätzt werden könne und deshalb Projekte eine Portion Mut erfordern – die sich in den meisten Fällen lohne.

Die Podiumsdiskussion mit den Rednern sowie mit Hendrik Walzel und Christoph Berger vom Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Augsburg.
Die Besucher stellten ihre Fragen an die Redner.

Mittelstand 4.0-Mobil und Technologieführungen

Praktisch wurde es am Nachmittag in Führungen und Workshops. Im Mittelstand 4.0-Mobil, einem Truck, der durch Bayern tourt, testeten die Besucher Assistenzsysteme wie den schlauen Klaus oder Smart Watches zur Koordination von Maschinen-Störungen. In den Forschungshallen am Fraunhofer IGCV arbeiteten mobile Roboter Hand in Hand mit dem Menschen und in der Lernfabrik für vernetzte Produktion konnten Besucher erleben, was Digitalisierung für ihre Arbeit bedeutet. Parallel zur Technologieführung tauschten sich die Teilnehmer des Wissens-Parcours zu Themen wie Künstliche Intelligenz oder Geschäftsmodell-Innovation aus. Die Führung durch das Textilmuseum stand ganz im Zeichen der Veränderung der Arbeitswelt: Von der Industrialisierung bis zur Digitalisierung am Beispiel von Textil und Mode. Auch bei den Programmpunkten am Nachmittag galt: Digitale Innovationen müssen zum Bedarf passen und mit Menschlichkeit umgesetzt werden.

Leitfaden Mitarbeitereinbindung zum Download

Das Mittelstand 4.0-Mobil bietet digitale Technologien zum Ausprobieren.
Im Roboter-Technikum am Fraunhofer IGCV werden mobile Roboter mit Sprache und Gesten gesteuert.
An Thementischen tauschten sich die Besucher mit den Fachleuten vom Kompetenzzentrum aus.
Im Mittelstand 4.0-Mobil koordinieren Smartwatches Störungsfälle in einem Fabrik-Modell.
In der Museumsfabrik erlebten die Besucher die maschinelle Entwicklung.

Die STABILO International GmbH bietet Stifte in unzähligen Varianten. Das macht die Produktion komplex – die zudem noch saisonal schwankt und mit schwer vorhersehbaren Trends rechnen muss. Um flexibler zu werden, testet die Produktion in Weißenburg zum Beispiel ein fahrerloses Transportsystem. Am meisten verspricht sie sich jedoch von der Einführung eines MES.

Pastell rosa, lila und türkis – 2016 tauchte Schwan STABILO den bekannten BOSS-Textmarker in eine zarte Farbpalette. Drei Millionen der neuen Marker waren anvisiert. Nach einem Jahr waren 30 Millionen verkauft. Ebenso überraschend kam der Erfolg von Malbüchern für Erwachsene. Diese landen seit 2013 auf Bestseller-Listen weltweit und pushen die Nachfrage nach Finelinern und Filzstiften. Das sind Herausforderungen für die Produktion in Weißenburg, obwohl sie Schwankungen gewohnt ist: Etwa 60 Prozent des Umsatzes werden in nur vier Monaten gemacht, wenn Schüler zu Beginn des neuen Schuljahrs viele Stifte kaufen.

Herausforderung: Produktion flexibler und transparent gestalten

Neben den bekannten BOSS Markern und point 88 Fineliner in 47 Farben produziert das Werk viele kleinere Serien mit unterschiedlichen Kombinationen an farbigen Schäften, Kappen und Tinten. Diesen Variantenreichtum meistert STABILO durch Automatisierungstechnik und mit Spezialmaschinen, die mit unterschiedlichen Parametern viele Kombinationen fertigen können. Zuletzt wurde ein fahrerloses Transportsystem für eine Woche gemietet. Das kam so gut bei den Mitarbeitern an, dass nun ein Pilotprojekt dazu folgt. Der größte Wunsch ist jedoch mehr Transparenz. Daher plant die Produktionsleitung, ein Manufacturing Execution System (MES) einzuführen.

Möglichkeiten der Digitalisierung: Transparent und flexibel durch ein MES

Schon vor der Potenzialanalyse des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Augsburg wurden verschiedene Lösungen begutachtet und ein System priorisiert.

So funktioniert‘s:
Ein MES erfasst Maschinendaten automatisch und verbessert die Datenbasis. Das kann es erleichtern, die Produktion in Weißenburg in die gesamte Unternehmensstruktur einzubetten und es verschafft einen Überblick über die komplette Wertschöpfungskette. Ein MES zeigt auch verschiedene Stellschrauben auf, um eine Produktion feiner planen und steuern zu können, und es hilft, die Produktion besser zu skalieren & zu optimieren – wichtige Ziele in Weißenburg.

Vorgehen: Prozesse glattziehen und Anforderungen bestimmen

Im nächsten Schritt geht es darum, die Erwartungen an das System zu konkretisieren und Vorbereitungen zu treffen. Dazu gehört auch, die Prozesse glattzuziehen. Das Werk in Weißenburg führt bereits seit einiger Zeit Wertstromanalysen nach dem Lean-Management-Prinzip durch, um Material- und Informationsströme abzubilden. Das sorgt für Transparenz in den Abläufen und bildet eine gute Grundlage zur Einführung des MES.

Das Kompetenzzentrum unterstützt nicht nur bei der Anforderungsanalyse, sondern auch mit einer Informationsveranstaltung für interessierte Mitarbeiter aus der Produktion. Jeder hat so die Möglichkeit sich über das Thema MES und die Vorhaben im Unternehmen zu informieren – ein wichtiger Schritt, um Akzeptanz zu fördern.

Ausblick: Strategie zur MES-Einführung ausarbeiten

Die Potenzialanalyse brachte auch Bestätigung für STABILO. Christoph Krauß, Projekt-Ingenieur in Weißenburg bestätigt: „Für uns war es hilfreich, einen neutralen Blick von außen zu erhalten. Dass sich auch weitere Empfehlungen mit unseren Plänen decken, zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“

Nun ist es wichtig, eine zukunftssichere Anbindung des MES zu schaffen. Dafür wird geklärt, welche Hardware noch benötigt wird und welche Änderungen an den Steuerungen vorgenommen werden müssen. Mit dem Kompetenzzentrum wird ein Vernetzungskonzept für die Maschinenanbindung ausgearbeitet. Das bezieht eine Übersicht über aktuelle und zukünftige Standards ein, um sicher zu stellen, dass das MES auch in Zukunft bestmöglich in eine automatisierte Prozesskette integriert ist und so eine hohe Flexibilität und Transparenz ermöglicht.

In Weißenburg werden die bekannten Stifte in vielen unterschiedlichen Varianten gefertigt.
Mehrwert der Digitalisierung:

  • Prozesse überarbeiten und digitalisieren ist eine grundlegende Vorarbeit für den Einsatz von digitalen Tools. Hier empfiehlt sich etwa eine Wertstromanalyse nach dem Lean-Management-Prinzip.
  • Ein MES ist ein mächtiges Werkzeug für Transparenz und Flexibilisierung in der Produktion. Für die Konfiguration müssen Prioritäten gesetzt und Erwartungen genau geklärt werden.
  • Um ein MES zukunftssicher auszurichten, empfiehlt es sich, sowohl aktuelle als auch kommende Standards für den Austausch von Maschinendaten im Blick zu haben.

Unternehmensprofil:

Weißenburg ist ein wichtiger Fertigungsstandort für tintenbasierte Schreibgeräte. Die ca. 175 Mitarbeiter produzieren für den Handel, direkt in der Nachbarschaft liegt das weltweite Verteilzentrum von Schwan-STABILO. Das Werk fertigt in zwei Großserien den BOSS-Textmarker und die point 88 Fineliner. Hinzu kommen zahlreiche kleinere Serien in verschiedenen Kombinationen.

Potenzialanalyse – auch was für Sie?

Bei einer Potenzialanalyse besuchen Fachleute aus dem Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Ihr Unternehmen und entwickeln gemeinsam mit Ihnen individuelle Lösungsvorschläge für den ersten Schritt in die Digitalisierung. Inspirieren Sie mit Ihrer Geschichte andere Unternehmen, die ähnliche Herausforderungen meistern wollen.

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Bildquellen: STABILO International GmbH