Pay-per-Use: datengetriebene Finanzierungsmodelle für KMU

Aktuell befinden sich kleine und mittlere Unternehmen branchenweit im Umbruch oder sind hohen wirtschaftlichen Schwankungen ausgesetzt. Dabei spielt das Thema Liquidität eine entscheidende Rolle. Finanzielle Freiheiten können mit passgenauen Finanzierungslösungen anhand der zunehmenden digitalen Vernetzung von Maschinen im Zeitalter der Industrie 4.0 gewonnen werden. Folglich steht auch die Unternehmensfinanzierung vor tiefgreifenden Veränderungen.

Wie Industrie 4.0 die Unternehmensfinanzierung verändert

Bereits heute befassen sich immer mehr kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mit den Möglichkeiten der Digitalisierung in Produktion und Fertigung, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Gerade die bei den Produktionsprozessen anfallenden Daten bzw. deren Bündelung und Auswertung eröffnen ganz neue Aspekte im eigenen Geschäftsmodell. Dies betrifft unter anderem auch die Unternehmensfinanzierung. Denn Industrie 4.0 ermöglicht es, durch Vernetzung und Digitalisierung die Nutzungsdaten von Maschinen transparent zu machen. Das schafft nicht nur Raum für Prozessoptimierungen, sondern bereitet auch neuartigen Finanzierungsmodellen, wie Pay-per-Use den Weg.

So funktioniert Pay-per-Use

Das Modell besteht für gewöhnlich aus mehreren Partnern: dem Anlagenhersteller, der finanzierenden Bank und dem Endkunden bzw. Nutzer. So wird zukünftig die Beschaffung einer neuen Maschine statt wie bisher in einer Einmalzahlung oder durch Finanzierung möglichst flexibel mit einem verminderten Risiko und einem neuen digitalen, datenbasierten Zahlungsmodell erfolgen. Während klassische Finanzierungmodelle in diesem Zusammenhang meist unflexibel sind und nicht den wirklichen Bedarf der Kunden abbilden, rechnen sogenannte Pay-per-Use-Modelle grundsätzlich nur das ab, was konkret verbraucht wurde. Die Unternehmen zahlen also nicht mehr für das Produkt an sich (z. B. eine neue Produktionsmaschine), sondern für dessen Output (z. B. die produzierten Stückzahlen am Tag). So basieren Pay-per-Use-Modelle in der Industrie grundsätzlich auf einer durchgängigen Vernetzung und Automatisierung der Produktionsmaschinen.

Durch eine Internet-of-Things (IoT)-Anbindung können Maschinennutzungs- und Produktionsdaten in Echtzeit erfasst, ausgewertet und anschließend abgerechnet werden. Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung des Zahlungsverkehrs können in naher Zukunft die Maschinen sogar selbst die entsprechenden Zahlungen per Echtzeitüberweisung auslösen und einen direkten Zahlungsstrom (Peer-to-Peer) vom Nutzer der Maschine zum Hersteller erzeugen. Sogenannte Micropayments machen es möglich, dass eine Maschine eine andere Maschine bezahlen kann. Aktuell erfolgt die Abrechnung meist monatlich und via SEPA-Lastschrifteinzug. Zukünftig könnte für die Abwicklung solch kleinteiliger, dezentral ablaufender Prozesse bzw. Zahlungsvorgänge u. a. die Blockchain-Technologie eingesetzt werden.

Offenlegung von Produktionsdaten

Das Konzept der nutzungsbasierten Geschäftsmodelle gewinnt durch die Industrie 4.0 zunehmend an Bedeutung. Viele Hersteller von Industriemaschinen bieten in Zusammenarbeit mit einem Kreditinstitut, den Fertigungsunternehmen zusätzlich zu den Industriemaschinen auch entsprechende Finanzierungsmodelle an, und erleichtern ihnen somit den Erwerb von Anlagen und Maschinen. Allerdings müssen die Unternehmen bereit sein, der Bank einen umfassenden und detaillierten Einblick auf die Produktionsdaten in Echtzeit zu gewähren. Nur Unternehmen, die auch bereit sind, sensible Daten zur Verfügung zu stellen, können Pay-per-Use-Modelle nutzen. Im Gegenzug erhalten sie bei Engpässen finanziellen Spielraum.

Allgemeine und branchenspezifische Vorteile von Pay-per-Use-Modellen

Die Grundidee von Pay-per-Use ist, flexibel auf wirtschaftliche Situationen reagieren zu können und die Kosten dabei variabel zu gestalten. Für die Unternehmen bietet das eine Reihe von Vorteilen.

So können bspw. Fertigungsunternehmen stets die neueste Generation einer Werkzeugmaschine nutzen, diese lediglich nach Auslastung bezahlen und gegebenenfalls bei leeren Auftragsbüchern zurückgegeben. Auf diese Weise kann eine langfristige Kapitalbindung der Unternehmen in Anlagevermögen vermieden werden. Darüber hinaus ist für dieses Finanzierungsmodell keine Bilanzierung notwendig, da die Maschine lediglich in den Besitz des produzierenden Unternehmens gelangt, die Eigentumsrechte jedoch beim Hersteller verbleiben. Das wirtschaftliche Risiko wird somit vollständig auf den Hersteller verlagert. Die Bezahlung der Anlagen erfolgt für die Fertigungsunternehmen transparent anhand einer Auslastungs- bzw. Nutzungsaufstellung der Maschinen. Zukünftige Kalkulationen und Angebote können auf Basis der tatsächlichen Minutenkosten erfolgen, welche direkt in die Stückkostenrechnung einfließen. Das ermöglicht den Unternehmen eine exakte Kalkulation der Kundenaufträge und eine minutiöse Produktionsplanung. KMU, die oftmalig Produktionsumrüstungen durchführen müssen, profitieren von der Bezahlung der Maschinen anhand ihrer tatsächlichen Auslastung. Denn der Einsatz der Maschinen kann kalkuliert und optimal angepasst werden. Besonders vorteilhaft ist die datenbasierte Kreditlösung für stark konjunkturabhängige Branchen, die regelmäßigen Produktionsschwankungen unterworfen sind. Somit ist eine Entkopplung von Konjunkturzyklen möglich.

Der Wettbewerb steht in den Startlöchern: Praxisbeispiel für Pay-per-Use-Modelle

Erste Anwendungsfälle in der Praxis gibt es bereits. Nachfolgend werden einige, zufällig ausgewählte, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, exemplarisch aufgeführt. Die genannten Firmen und Produkte stellen keine Empfehlungen vom Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Augsburg dar.

So hat die Commerzbank AG zusammen mit dem Werkzeugmaschinen-Hersteller EMAG GmbH & Co. KG eine datenbasierte Kreditlösung entwickelt. Der „Pay-per-Use-Kredit“ ist im eigentlichen Sinne ein Investitionskredit, dessen Tilgungshöhe sich an der Auslastung der Maschine orientiert und somit die Liquidität des Nutzers schont. Die Vernetzung der Maschinen ermöglicht eine flexible Tilgungsrate, die sich an die aktuelle Liquiditätsbelastung des jeweiligen Unternehmens anpasst. Die KMB Technologie Gesellschaft für rationelle Fertigung mbh setzt die Maschinen der EMAG GmbH & Co. KG im Automotive-Sektor ein und sieht den branchentypischen Produktionsverlauf anhand des Tilgungsverlaufs der Maschinen widergespiegelt.[1] Dabei steht eine höhere finanzielle Stabilität im Vordergrund, denn die Rückzahlungsbeträge passen sich der Auslastung des Investitionsgutes an.

Der Maschinehersteller J.G. WEISSER SÖHNE GmbH & Co. bietet im Vergleich zur konventionellen Finanzierung Pay-per-Use-Lösungen an. Dabei wird die Gegenüberstellung von Produktivität und Nutzungskosten im Rahmen des Modells beworben. Die Ausstellung einer monatlichen Rechnung basierend auf der tatsächlichen Produktionszahl schont die finanzielle Belastung des jeweiligen Unternehmens.[2]

Auch die Gebr. Heller Maschinenfabrik GmbH bietet neben einer monatlichen Grundgebühr für ihre Anlagen das Pay-per-Use-Modell für die Nutzung ihrer Maschinen an. Somit ist ein flexibler Maschineneinsatz mit einer durchgängigen Kostenkalkulation möglich.[3]

Der C-Teile-Spezialist Würth Industrie Service GmbH & Co. KG unterstützt anhand von mit RFID-Technologie ausgestatten Behältern KMU bei ihrem Bestellprozess. So werden in den Fertigungsunternehmen leere Behälter in sogenannte iBoxen gestellt und anhand der Auswertung und Übertragung von täglich aktuellen Daten Bestellprozesse bei Würth Industrie Service automatisch angestoßen.[4]

Ausblick

Generell wird es durch die Fragmentierung der Wertschöpfungsketten künftig mehr Akteure, mehr Verbindungen und damit mehr Komplexität geben. Mit Blick auf die Zukunft lässt sich festhalten, dass die veränderten bzw. neuen Anforderungen der mittelständischen Unternehmen, mit innovativen Produkten aus dem Banking unterstützt werden können. Neuartige Wertschöpfungsprozesse treffen zunächst auf bewährte Finanzierungslösungen. Häufig fehlt hier allerdings die Passgenauigkeit von Finanzierungsanforderung und Finanzierungslösung. Diese wird künftig entscheidend für die Fähigkeit eines Unternehmens sein, um nachhaltig in die vierte Generation digitalisierter Technologie- und Automatisierungsgeräte zu investieren und Industrie 4.0 zu gestalten.

 

 Quellen:

[1] https://www.commerzbank.de/de/hauptnavigation/presse/pressemitteilungen/archiv1/2018/quartal_18_02/presse_archiv_detail_18_02_75466.html
[2] https://www.weisser-web.com/artery
[3] https://www.heller.biz/maschinen-und-loesungen/heller4use
[4] https://new.siemens.com/global/de/unternehmen/stories/industrie/kaestchen-mit-koepfchen.html

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