Teil 2: Wie schaffe ich ein Gleichgewicht zwischen Informationsbedarfen und Informationsangeboten?

Um das eigene Produktionssystem und die zugehörigen Prozesse hin zu einer Vernetzten Produktion zu entwickeln, sollte bei allen beteiligten Akteuren ein Bewusstsein hinsichtlich der Informationsbedarfe und Informationsangebote geschaffen werden. Die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen der Generierung und Verwendung von Daten ist eines der wesentlichen Ziele der Informationslogistik. Nur Unternehmen, die sich intensiv und zielgerichtet mit diesem Thema auseinandersetzen, werden die Potentiale einer Vernetzten Produktion ausschöpfen können. Dieser Artikel ist Teil zwei unserer Artikelreihe zum Thema Informationslogistik in der Vernetzten Produktion.

Ein Beispiel aus der Monitor Manufaktur Müller: Ein Mitarbeiter trägt täglich in eine Excel-Tabelle ein, wie viele Stunden er damit beschäftigt ist, die Spritzgussform für den 30-Zoll-Monitor im Werk zu suchen. Wo ist der Mehrwert dieser Datenerfassung, wenn daraus keine Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet werden? In diesem Fall bleiben sowohl das Eintragen der Daten in die Liste als auch das Suchen des Werkzeugs zwei nicht-wertschöpfende Tätigkeiten, entstanden durch ein Ungleichgewicht zwischen Informationsbedarf und -angebot.

Der Bedarf ist in diesem Fall die Information zum Aufenthaltsort der Spritzgussform, welche zum Beispiel im Werkzeuglager, auf dem Rüstwagen einer anderen Mitarbeiterin oder auch in der Instandhaltungswerkstatt liegen könnte. Diese Information sollte dem Mitarbeiter, der die Spritzgussform sucht, angeboten werden. Die Information, dass das Suchen des Werkzeugs den Mitarbeiter drei Stunden täglich davon abhält wertschöpfenden Tätigkeiten nachzugehen, wird erst relevant, wenn der Bedarf dazu gegeben ist: beispielsweise wenn das Unternehmen eine Kennzahl sucht, die die Wirkung der Maßnahme zur Reduktion der Suchzeiten quantitativ nachvollziehbar macht.

Ein Informationsangebot wird im Idealfall also nur dann geschaffen, wenn der entsprechende Informationsbedarf auch vorliegt. Das aufgeführte Beispiel ist nur eine von vielen Situationen im Produktionsumfeld, in der ein Ungleichgewicht zwischen dem Informationsbedarf und dem Informationsangebot besteht. Fallen Ihnen hierzu ähnliche Situationen aus Ihrer Produktion ein? Ist hier das Angebot auf den Bedarf abgestimmt?

Die folgenden Fragen[1] geben Ihnen Tipps, worauf es beim Gleichgewicht zwischen Informationsbedarf und -angebot ankommt.

1. Informationsbedarf: Wo werden welche Daten und Informationen benötigt?

Im ersten Schritt ist es sinnvoll, den Bedarf genauer zu detaillieren. Es ist zu klären, wo der Bedarf genau auftritt und wer die Daten anschließend nutzen möchte. Entstehen kann die Nachfrage grundsätzlich im gesamten Produktionsumfeld Ihres Unternehmens (siehe Ebenenmodell der Produktion, Teil 1).

Über die Fragen „wer“, „wo“ und „wozu“ hinaus, sollte man sich bei der Ermittlung des Informationsbedarfs darüber bewusstwerden, in welcher Form die Information benötigt wird. Soll die Information im Sekundentakt aktualisiert werden oder reicht ein Update am Tag? Wird eine Historie der Daten benötigt? Wie detailliert sollen die Daten geliefert werden, beispielsweise mit zwei Nachkommastellen oder reichen dem Anwendenden gerundete Werte aus?

2. Informationsangebot: Woher kommen diese Daten und Informationen?

Genauso wie der Informationsbedarf überall entstehen kann, kann auch das Informationsangebot von den verschiedenen Akteuren, Produktionsressourcen oder auch produktionsnahen IT-Systemen erzeugt werden. Mögliche Helfer bei der Datenerfassung und -übertragung sind Auto-ID-Systeme, welche im dritten Artikel näher vorgestellt werden.

3. Informationslogistik: Wie führe ich Informationsangebot und Informationsbedarf zusammen?

Schlussendlich müssen Informationsbedarf und -angebot noch zusammengeführt und ins Gleichgewicht gebracht werden – ein wesentliches Ziel der Informationslogistik. Hierbei gilt es darauf zu achten, dass die produktionsnahe IT-Architektur transparent aufgebaut und die einzelnen Datenquellen (Ursprungsorte) und Datensenken (Empfangsstellen) so miteinander verknüpft werden, dass ein späteres Ergänzen oder Entfernen der Quellen bzw. Senken mit geringem Aufwand möglich ist. Dabei sollen die benötigten Schnittstellen so ausgewählt werden, dass Medienbrüche (wie beispielsweise das Einscannen eines handschriftlich erstellten Auftrags) möglichst vermieden werden. Zentrale Fragestellungen sind in diesem Schritt folglich, in welcher Form und an welchen Orten die Daten und Informationen bereitzustellen sind.

Weitere Anwendungsbeispiele aus der Monitor Manufaktur Müller

Maschinenzustandsüberwachung auf Fertigungsebene

Informationsbedarf:
Der Werker an der Spritzgussmaschine benötigt die aktuellen Parameter der Anlage (wie Druck, Temperatur, Vorschubgeschwindigkeit der Extruderschnecke, etc.). So kann er sicherstellen, dass das Produkt am Ende den Anforderungen entspricht.

Informationsangebot:
Die Parameter können mit Hilfe verschiedener Sensoren in der Spritzgussmaschine zur Verfügung gestellt werden.

Informationslogistik:
Mit Hilfe eines Displays, welches die Parameter zusammenfasst und übersichtlich darstellt, bekommt der Werker die gewünschte Information zur Verfügung gestellt. Aufgrund seiner Erfahrung mit der Anlage, weiß er, dass ein Update der Parameter alle 15 Sekunden ausreichend ist. Um bei Abweichungen vom Normzustand schnell eingreifen zu können, sollte das Display direkt an der Spritzgussanlage bereitstehen. Eine Verknüpfung der Maschine mit dem ME-System ermöglicht es zusätzlich, dass auch der Schichtleiter von seinem Büro aus einen Blick auf den aktuellen Zustand der Maschine werfen kann.

 

Produktionsprogrammplanung auf Fertigungsleitebene

Informationsbedarf:
Der Produktionsprogrammplanerin bedarf es einer Übersicht über die Auslastung der Produktion, auf dessen Basis sie den neuen Auftrag für den Kunden König einplanen kann.

Informationsangebot:
Die hierfür benötigten Informationen sind im ME-System abrufbar. Hier wird nicht nur ersichtlich, wie die Anlagen aktuell ausgelastet sind, sondern auch, inwieweit diese in den nächsten Wochen schon für weitere Aufträge gebucht wurden.

Informationslogistik:
Im Idealfall ruft die Produktionsprogrammplanerin den Termin- und Kapazitätsplan der Anlagen von ihrem Arbeitsplatz aus ab und plant den neuen Auftrag direkt in der Planungsmaske des ME-Systems ein. So sind die Daten zentral im ME-System gespeichert und später, während der Durchführung des Auftrags, auch über die Bedienterminals auf dem Shop Floor abrufbar.

 

Lagerverwaltung auf Unternehmensleitebene

Informationsbedarf:
Den Schraubenlieferanten Schubert interessiert, ob Schrauben-Nachschub benötigt wird.

Informationsangebot:
Die Bestandsdaten sind in der Monitor Manufaktur Müller im Lagerverwaltungsmodul des ERP-Systems hinterlegt.

Informationslogistik:
Eine Möglichkeit für den Schraubenlieferanten, diese Information abzufragen, ist ein Anruf bei der Monitor Manufaktur Müller, welche die Daten wiederrum im ERP-System abruft. Um den Vorgang zu vereinfachen und Medienbrüche zu vermeiden, wurde sich hier (im Rahmen des Lieferantengesteuerten Bestands) für die Aufnahme der Daten auf Basis der RFID-Technologie und eine direkte Übertragung (siehe Anwendungsbeispiel horizontale Vernetzung in der Lieferkette, Artikel 1) entschieden.

 

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[1] Die Fragen orientieren sich am „Leitfaden Industrie 4.0 trifft Lean“ (2018) vom VDMA, Forum Industrie 4.0 in Kooperation mit dem FKM Forschungskuratorium, Maschinenbau e.V. sowie der Technischen Universität Darmstadt, Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen, wo diese als Leitfragen zur Identifikation informationslogistischer Verschwendungsarten in Anlehnung an die Veröffentlichung „Der neue Blick auf Verschwendung im Kontext von Industrie 4.0: Detaillierte Analyse von Verschwendungen in Informationslogistikprozessen“ von T. Meudt, J. Metternich und C. Leipoldt in ZWF Zeitschrift für Wirtschaftlichen Fabrikbetrieb (111, 2016) aufgeführt werden.